Wildnis-Pädagogin bereitet sich fernab von der Zivilisation auf ihren Beruf vor. Seit mehr als zehn Monaten lebt Suzann Ringler aus Tangstedt in der Einöde im US-Bundesstaat Wisconsin. Die Norderstedter Zeitung veröffentlicht Auszüge aus ihrem Tagebuch - Folge 5.

Unglaublich, meine Zeit geht hier tatsächlich dem Ende zu, Anfang April tauche ich wieder in der Zivilisation auf. Zurzeit haben wir jeden zweiten Tag ein Treffen mit den Guides. Es geht um die Welt "da draußen" und wie wir am besten eine weiche Landung hinbekommen. Es tauchen viele Fragen bei uns auf, und es kommen auch Ängste hoch, aber 97 Prozent ist reine Freude bei mir.

Ich habe in diesen letzten Tagen lange Spaziergänge gemacht, habe mich von geliebten Plätzen verabschiedet und diese ungestörte Weite noch mal in mich aufgesogen, diese wilde Freiheit noch mal voll ausgekostet.

Es ist im Moment unvorstellbar für mich, nicht mehr auf unebenen Pfaden zu wandeln und diese wieder gegen Asphalt einzutauschen; unvorstellbar für mich, mich wieder mehr in geschlossenen Räumen aufzuhalten als unter freiem Himmel, unvorstellbar für mich, dass die innere Uhr das Zepter an die Zeituhr abgeben muss und ich nicht mehr dann meinen inneren Bedürfnissen nachgehen kann, wenn sie da sind (wie Pause oder Nickerchen machen, aktiv sein) und absolut unvorstellbar, wie ich ohne mein Messer am Gürtel leben soll.

Die letzten zwei Wochen standen unter dem Motto "Bilanz ziehen, was hat sich verändert im Inneren wie im Äußeren?" Ich glaube, dass ich im tiefen Inneren begriffen habe, was es bedeutet, andere und mich selbst so zu nehmen wie sie/ich sind/bin (ohne dass ich von mir behaupte, es jetzt zu können, aber ich arbeite dran und ertappe mich und kann es dann oft ändern). Hab mich selbst ein Stück weit mehr annehmen können, bin liebevoller im Umgang mit mir selbst geworden, die Härte ("mir selbst auf die Glocke hauen") ist gewichen, auch wenn es im Äußeren doch recht hart zugeht, ich meine den inneren Umgang mit mir! Ein Stück mehr begriffen, dass ich schon ganz in Ordnung bin, so wie ich bin.

Konnte mir eingestehen, dass ich eine große Angst hatte (und in Teilen immer noch habe, auch hier: Ich arbeite dran), von anderen Menschen verletzt zu werden, wenn ich sie zu dicht an mich heranließ. Habe erkannt, wie wichtig mir meine Familie und meine Freundschaften sind, auf die ich mich in der Vergangenheit oft nicht wirklich einlassen konnte. Suzann immer in Eile, nie Zeit. Zieht euch warm an, meine Lieben, ich will innehalten mit euch, zuhören und mich selbst preisgeben.

Auch das "Urteilen" über andere Menschen weicht immer mehr einer Akzeptanz, dass jeder sein Leben nach eigenen Maßstäben gestaltet und ich nicht urteilen darf, nur weil ich die ganze Sache vielleicht völlig anders sehe. Und ich werde trotzdem das Fragen nicht lassen, das Infragestellen.

Es gelingt mir immer besser wenn ich mich inmitten eines "Emotionalgetümmels" befinde, einen Schritt zurückzutreten, um die ganze Szene zu betrachten, kann dadurch besser abwägen und spontane, vielleicht oft nicht angebrachte Reaktionen und Entscheidungen oft einfach mal lassen.

Muss man dafür in die Wildnis? Sicherlich nicht und doch bin ich froh, diesen Schritt gewagt zu haben. Es liegt in meiner Hand, ob ich die Umstände oder die Äußerungen anderer persönlich nehme oder sie beim anderen lassen kann. Jeder hat seine Reaktionen auf Situationen, sein eigenes Lebensgepäck zu tragen, dieses auch zu sehen und mehr Mitgefühl und Verständnis für andere Menschen zu entwickeln. It's all about me - niemand anderes als ich selber hat die Verantwortung für mich, meine Gedanken, Handlungen und Gefühle. Ich habe immer die Wahl.

Es war ein Wagnis, einfach mal der lauten, schnellen und hektischen Welt für eine Weile den Rücken zu kehren und manchmal schien es, dass mein Weg und mein Vorankommen hier draußen nicht einfach waren, und doch es ging immer irgendwie weiter. Somit war dieses Jahr in der Wildnis eine tiefe Reise zu mir selbst, ein Blick in den eigenen Spiegel, so wie ich es mir gewünscht habe. Jetzt gehe ich noch einmal in die Wildnis - ein wenig Wehmut fängt sich schon jetzt in mir. Ein Weg geht zu Ende und ist doch erst der Anfang von etwas Neuem . . .