Nach dem Tod ihrer Großmutter ist der Norderstedter Schülerin bewusst geworden, dass man den Menschen, die einem nahestehen, immer wieder sagen sollte, was sie einem bedeuten.

Norderstedt. "Guten Morgen, Omi!" Ich gehe die Treppe hinauf, aber höre keine Antwort. Die werde ich auch niemals wieder bekommen. Meine Oma ist vor einigen Wochen gestorben. Früher, als ich sieben Jahre alt war, war sie einfach nur meine Omi, doch es hat sich viel verändert. Heute weiß ich: Ich habe sie nicht geliebt. Ich habe sie vergöttert.

Ich war in der zweiten Klasse und kam aus der Schule, als meine Mutter mir sagte, dass meine Oma einen Schlaganfall hatte. Der Arzt sagte, der Schlaganfall habe das Broca-Areal in der linken Gehirnhälfte getroffen und sie leide nun unter Aphasie und Apraxie. Meine Mutter erklärte mir später, dass Omi nie wieder richtig sprechen und schreiben können würde. Diese Zeit war sehr schwer für mich, denn ich wusste zuerst nicht, wie ich mich mit ihr verständigen sollte. Aber sie nahm Unterricht bei einem Logopäden und erlangte große Teile ihrer Sprache und ihrer Schrift wieder zurück. Zu dem Zeitpunkt war ich elf Jahre alt.

Zunehmend fiel ihr das Gehen immer schwerer, und einige Zeit später brach sie zusammen und brauchte einen Herzschrittmacher. Doch sie verlor nie den Mut und ihren Lebenswillen, gegen ihre Behinderung anzukämpfen. Meine Familie und ich gaben ihr den Halt, den sie brauchte. Da meine Oma in dem Haus neben uns gewohnt hat, ging ich wie immer jeden Tag zu ihr rüber und begrüßte sie. Wir erzählten uns, was wir so erlebt hatten, und oft machte ich mit ihr die Hausaufgaben, die ihr der Logopäde aufgab.

Im März musste sie jedoch wieder in eine Herzklinik, weil es ihr so schlecht ging. Sie weinte und meinte, sie wolle nicht ins Krankenhaus. Doch alles wurde wieder gut, und Ostern saßen wir wieder alle glücklich zusammen. Da sie aber vieles nicht mehr allein erledigen konnte, putzte ich von nun an einmal in der Woche bei ihr, kochte ihr häufig das Essen, wenn meine Mutter keine Zeit hatte, und besuchte sie, sooft ich konnte. Im August ist sie 80 Jahre alt geworden. Wir gaben ein großes Fest, und alle ihre Freunde waren da. Sie war so glücklich, wie schon lange nicht mehr und freute sich über ihre Geschenke: Sie machte mit ihren Kindern zusammen eine Schiffsfahrt unter der Öresundbrücke hindurch und besuchte die Bundesgartenschau in der Stadt Schwerin.

An meinem ersten Ferientag war sie bei Nachbarn zum Kaffee eingeladen - ich hatte ihr mittags noch beim Anziehen geholfen. Doch als sie dort ankam, blieb ihr Herz stehen. Der Notarzt konnte sie nicht mehr wiederbeleben. Ich war geschockt und verkroch mich in mein Zimmer.

Ich habe in der Zeit über vieles nachgedacht: Ich war nie im Kindergarten, weil meine Oma direkt nebenan wohnte, und habe deshalb jeden Morgen bei ihr gefrühstückt und mit ihr gespielt. Sie ist oft mit mir ins Herold Center gefahren und hat mir im Sommer immer ein Eis gekauft. Sie war immer für mich da, auch als ich älter war und jemanden zum Reden brauchte.

Ob sie wusste, wie sehr ich sie geschätzt und geliebt habe? Mir ist bewusst geworden, dass wir den Menschen, die wir lieben, immer wieder sagen sollten, wie viel sie uns bedeuten, denn wir wissen nicht, wie viel Zeit wir mit ihnen noch verbringen können. Habt ihr es heute schon gesagt: "Ich liebe dich"?