Seit sieben Monaten lebt Suzann Ringler aus Tangstedt in der Einöde des US-Bundesstaates Wisconsin. Die Norderstedter Zeitung veröffentlicht regelmäßig Auszüge aus ihrem Tagebuch. (4)

Der See friert zu. Die letzten Tage mussten wir Eis hacken, um Wasser trinken zu können. Es ist jedoch unglaublich, wie der Körper sich schon an die Kälte gewöhnt hat. Wenn ich nachts zum Pullern aus dem Schlafsack krabbel, gehe ich barfuß und nackt raus, Temperaturen waren vielleicht so bei minus 8 Grad Celsius, und es war total okay.

Es ist noch immer kein Schnee da, was sehr ungewöhnlich ist für diese Jahreszeit. Nachdem wir die Winterlodge zum Einzug fertig gemacht haben, ist nun auch das letzte große Projekt zu Ende gegangen. Alles wird langsamer und kommt zur Ruhe, die Aktivitäten gehen zurück, und die Zeit der Innenschau scheint gekommen zu sein. Eine Zeit der Dunkelheit und der Sterne, Zeit des Feuers, der Geschichten und der Träume.

Die Tage sind kurz, und es ist unglaublich, wie schnell der Abend da ist. Morgens, wenn ich durch den Sumpf zum See gehe, zaubert die Sonne glitzernde Diamanten auf den gefrorenen Büschen und Gräsern, der Verstand wird still, und es gibt nur noch Ehrfurcht vor dieser Schönheit.

Ein weiteres Geschenk waren die sonnigen Tage im November, ein zweiter Indian Summer. In dieser Zeit hatten wir unsere erste Schwitzhütte, in der wir mit drinnen waren. Auch hier diese Schönheit, in der Dunkelheit zu sitzen und die orange glühenden Steine hereinkommen zu sehen. Das Thema Dankbarkeit scheint wieder in mir zu wirken.

Wir haben mit dem Spurenlesen angefangen. Merke, wie alte Ängste aus der Kindheit hochgekommen sind, nichts zu sehen, nicht mit den anderen mithalten zu können. Wie diese alten Erfahrungen uns immer noch im Griff haben können, obwohl die Situation schon längst Vergangenheit ist. Das geht gerade ziemlich ans Eingemachte für mich, alte Verhaltensmuster knallen mir ziemlich um die Ohren, eine Zeit des Wachstums beginnt, eine Zeit, alte Dinge wirklich hinter mir zu lassen. Tut manchmal ziemlich weh, da das Ego dran festhalten möchte. Ich fühle, dass ich einigen Menschen Abbitte leisten möchte - vor allem bei denjenigen, mit denen mich eine Freundschaft oder Liebe verband, aber auch bei dem einen oder anderen Chef in meiner beruflichen Vergangenheit. Es geht ganz viel alter Ballast von meiner Seele.

Die tieferen Gedanken nehmen immer mehr Raum ein, in dieser Zeit der Kälte und der Dunkelheit. Wir leben hier nach äußeren Massstäben so unkomfortabel, wie es nur eben geht, um einen neuen Komfort in uns selbst zu finden, der eben unabhängig von den äußeren Umständen ist. Seit über einem halben Jahr lebe ich jetzt hier draußen.

Komisches Gefühl, wenn ich an mein so gemütliches Zuhause und doch so stressiges Leben davor denke. Es ist, als hätte es sich hier genau umgekehrt. Du musst deine Komfortzone erweitern, sonst hältst du es nicht aus, wenn dir das ganze Gesicht wehtut vom kalten Wasser, das du trinken musst, und wenn du bei minus zehn Grad im Wald hockst und der Wind dir um den Mors fegt. Ich gehe Tag für Tag und versuche, nicht zu sehr an die Zukunft zu denken.

Noch eine tolle (die zivilisierte Frau in mir kreischt auf) Erfahrung ist das eigene Aussehen: Pausbacken (jetzt ist es schon fast ein Pfannkuchengesicht), struppelige Haare, trockene, gerissene Lippen, raue, mit Wunden übersäte Hände, kaputte Fingernägel usw: So absolut das Gegenteil von dem, was die Gesellschaft und die Werbung uns so vorlebt, wo du nur ein vollständiger Mensch bist, wenn du nach bestimmten Massstäben schön bist. Suzann, durchgefallen und auch noch vergnügt damit!

Bin für ein Jahr aus dem fahrenden Zug ausgestiegen, wo die Landschaft (Leben) einfach nur so vorbeifliegt. Ich weiß, dass ich meinen Zug wieder besteigen muss, wenn ich hier aus dem Wald komme, doch will ich für die meiste Zeit des Lebens eher einen Bummelzug nehmen, der an jeder "Milchkanne" hält, sodass ich die Landschaft hinter der Scheibe noch erkennen kann.