Ebba Witt und Manfred Johs erfüllen sich ihren späten Lebenstraum. Der Wiener und die Tangstedterin haben sich im Urlaub kennengelernt und eröffneten in Henstedt-Ulzburg einen Pilzhof. Sie züchten Edel- und Speisepilze - ein anstrengendes und langwieriges Geschäft.

Henstedt-Ulzburg. 2003 ist für Ebba Witt (49) aus Tangstedt und Manfred Johs (46) aus Wien ein Schicksalsjahr. Er, ein Verwaltungsbeamter mit Haus, sie, Angestellte bei einem Steuerberater, lernen sich beim Skifahren in Österreich kennen. Beide haben eine gesicherte Existenz, aber sie haben ihre Träume. Die tägliche Arbeit am Schreibtisch, zwischen Aktenbergen und Computern - das kann doch nicht alles gewesen sein! Aus dem Urlaubsflirt wird eine Schicksalsgemeinschaft, die beiden Mut macht, ihr Leben radikal zu ändern und etwas völlig Neues anzufangen. Etwas, das mit ihrem bisherigen Leben nicht vergleichbar ist.

Ein Neuanfang im mittleren Alter, wenn die Lebensspuren bereits tiefe Furchen hinterlassen haben, ist nicht einfach. Aber Frau Witt und Herr Johs gehen ihr Ziel strukturiert an, ganz so, wie sie es als Menschen, die täglich mit Zahlen und Verwaltungsvorgängen umgehen, gewohnt sind. Ebba hatte ihren ersten Lebenstraum bereits aufgeben müssen: Als Pferdetrainerin konnte sie wegen ihrer Rückenprobleme nicht mehr arbeiten. Manfreds Lebensinhalt waren seit frühester Jugend Pilze. Er hatte sich mit diesem Thema intensiv befasst und für den eigenen Verzehr Pilze auf Holzstämmen gezogen. Und genau dieses Hobby schweißt das Paar, das seit drei Jahren gemeinsam in Tangstedt lebt, jetzt zusammen.

Sie eröffnen im September 2009 ihren Pilzhof an der Kisdorfer Straße in Henstedt-Ulzburg. Dort züchten Ebba Witt und Manfred Johs eine Vielzahl von Pilzen, die ausgezeichnet schmecken, die international bekannt sind und zum Teil in der Medizin verwendet werden. Edel- und Speisepilze eben. Aber keine Champignons. Und das ist das Problem: Der Deutsche kennt und liebt seine Champignons, weil er es scheut, das Risiko einzugehen, mit anderen Pilzen am Familiengeschmack vorbei zu kochen. Ausgenommen vielleicht der Pfifferling. Hin und wieder jedenfalls. Champignons gibt es in jedem Supermarkt. Auf dem Pilzhof gibt es auch Champignons, weil die beiden Pilzfarmer schnell festgestellt haben, wie wichtig es ist, diesen Pilz ebenfalls im Angebot zu haben. Aber diese Champignons werden dazugekauft und stammen nicht aus der eigenen Zucht. Denn Substratpilze wollen Ebba Witt und Manfred Johs ihren Kunden eigentlich nicht anbieten.

Champignons - das kann jeder. Aber Shiitake, Austernpilze oder Limonenseitlinge, selbst gezogen und frisch geerntet, das ist hohe Kunst und großes Kino. Im Mai 2008 beginnen beide mit ihrer Arbeit auf dem Gelände einer ehemaligen kleinen Gärtnerei an der Kisdorfer Straße, direkt an der Zuwegung zum Kleingartengelände. Denn eine Pilzzucht braucht Vorlauf. Sie holen Holzstämme aus dem Duvenstedter Brook, aus dem Tangstedter Forst und lagern sie fünf Wochen, bevor die eigentliche Arbeit beginnt. Die Schnittimpfmethode ist das A und O dieser Pilzzucht: Mit der Kettensäge einen Keil in den Stamm sägen, dann das Pilzsubstrat mit den Händen in die Schnittstelle drücken, mit Folie verschließen und die Stirnseiten der Stämme zum Schutz vor anderem Pilzbefall mit Latexmilch versiegeln.

Ein Jahr bleiben die Stämme in der Miete, damit das Pilzsubstrat den ganzen Stamm besiedeln kann. Ein Teil der Stämme kommt dann in einem beheizten Folientunnel in die Erde, bis die Austernpilze an der Stirnseite herauswachsen. Beim Shiitake müssen sie 24 Stunden ins Wasserbad, bevor sie aufgeschlagen werden, damit nach fünf bis zehn Tagen die Pilze sprießen. Fünf bis sechs Jahre kann so ein Stamm "gemolken" werden. "Am besten ist das Frühjahrsholz", sagt Manfred Johs mit seinem breiten österreichischem Akzent. "In diesem Jahr haben wir 20 Meter Buchenholz gekauft."

Bis jetzt leben Ebba Witt und Manfred Johs noch vom Ersparten, aber das soll, so hoffen sie, anders werden. Wenn erst die ersehnte Bio-Zertifizierung eingetroffen ist, können auch Biohöfe beliefert werden. Aber schon Supermärkte aus der Umgebung haben Interesse gezeigt.

Wer kauft Austernpilze und Shiitake, Limonenseitlinge oder Nameiko, die japanischen Stockschwämmchen? Viele, die nicht nur Champignons mögen. Weil Shiitake auch als immunstärkende Heilpilze gelten, werden sie gerne von Krebspatienten verzehrt. "Von jeder Sorte haben wir pro Tag etwa zwei Kilo vorrätig", sagt Manfred Johs. Das reicht noch nicht, um finanziell über die Runden zu kommen. Aber die beiden Geschäfts- und Lebenspartner erhoffen sich mehr. Und wenn nicht - Manfred Johs besitzt in Wien Haus und Wohnung, hat sich für zehn Jahre beurlauben lassen, kann aber jederzeit wieder zu seiner Behörde zurückkehren. Auch Ebba Witt kann wieder beim Steuerberater anfangen. Aber daran wollen sie jetzt noch nicht denken.