Wenn es so etwas wie ein “Symboldatum“ der jüngeren deutschen Geschichte gibt, dann ist es der 9. November. In wenigen Tagen werden wir den 20. Jahrestag des Mauerfalls feiern - zu Recht, denn dieser Tag ist einer der großen Tage unserer Geschichte.

In unserer Gedenkkultur steht der 9. November 1938 aber auch für die "Reichspogromnacht" - verschleiernd auch als "Reichskristallnacht" bezeichnet. Der NS-Terror gegen die Menschen jüdischen Glaubens in Deutschland erreichte mit der Plünderung von Geschäften und dem Niederbrennen von jüdischen Gotteshäusern einen weiteren, traurigen Höhepunkt.

Das alles ist - genau wie der Mauerfall vor 20 Jahren - ein Teil der deutschen Geschichte. Für Gefühle des Glücks steht der 9. November ebenso wie für tiefste Scham.

Nur wenn wir die unterschiedlichen Inhalte des 9. Novembers zusammen bedenken, können wir wirklich erfassen, welches Geschenk der 9. November 1989 gewesen ist - eine friedliche Revolution - "nicht eine zerstörte Schaufensterscheibe", so beschrieb ein Pastor der Leipziger Nikolaikirche "die unglaubliche Erfahrung der Macht der Gewaltlosigkeit". Menschen vertrauten darauf, dass Gebete und Kerzen mächtiger sind als die gesamte Staatsmacht. Ob Christen oder Nichtchristen - in dieser Situation erlebten Abertausende von Menschen, was es heißt, "es soll nicht durch Heer oder Kraft, sondern durch meinen Geist geschehen, spricht der Herr" (Sachaja 4,6).

Das Erinnern an Tiefen und an Höhen, die mit dem 9. November verbunden sind - ist mir eine Hilfe, den Weg in die Zukunft zu gehen. "Erinnerungskultur" ist eben mehr als eine Pflichtübung, sondern nur, wer um die Vergangenheit weiß, kann seine Gegenwart verstehen und die Zukunft gestalten.

Dr. Karl-Heinrich Melzer , Propst im Kirchenkreis Hamburg-West/Südholstein.