“War nett bei ihnen im Gottesdienst“, sagt er am Ausgang, “aber verzeihen sie, dass ich nicht öfter komme. Ich bin immer so müde.“ Ich schaue ihn an. Seine Augen sind leicht gerötet. Er wirkt überarbeitet. “Wie kommt's?“, frage ich. “Schichtdienst“, erwidert er.

"Ich arbeite in einer Raffinerie. Nachts sind wir mit vier Leuten allein und überwachen die Anlage. Da können sie sich keine Fehler erlauben, sonst gibt es richtig Schaden. Der Druck ist ziemlich heftig." Ich versuche es mir vorzustellen, wie einer ein System aus Rohrleitungen und Computerbildschirmen überwacht und komplizierte Regelkreise steuert. Und immer ist der Druck der Verantwortung da (Ob er den gemeint hat, als er von Druck sprach?). Er reicht mir zum Abschied die Hand. "Also seien sie mir nicht böse, wenn ich nicht öfter komme. Sie können mich trotzdem dazu zählen." "Ich weiß Bescheid. Sie gehören dazu." Wir lächeln uns an. Er geht. Hinterher denke ich: Wie lebt man mit seinem Glauben in der Welt der Monitore und Rohrleitungen? Betet man am Arbeitsplatz und erzählt Gott von der Einsamkeit und der Angst und dem ständigen Druck? Hilft das? Ich spüre, ich hätte ihn gern noch mehr gefragt. Und warum es ihm wichtig ist, zur Gemeinde zu gehören, an der er nicht so richtig teilhaben kann. Ob er Wünsche hat an die Gemeinde, die er so wenig sieht und die ihn so wenig bei seiner Arbeit sieht? "U-Boot-Christen" nennt man gehässig jene, die höchstens zu Weihnachten in der Kirche noch auftauchen und sonst ihren Glauben allein zu leben gewohnt sind. Zum Luft holen kommt man dann an die Oberfläche und signalisiert offen die Angst vor dem Absaufen. Gut, dass es noch Orte gibt, an denen darüber gesprochen werden kann, was mich leben lässt.

Am 31. Oktober feiern die evangelischen Kirchen Reformationstag und erinnern an die Fundamente des christlichen Glaubens. Der Mensch lebt nicht von seinen Leistungen und seinen manchmal maßlosen Anstrengungen um seine Existenz zu rechtfertigen, sondern von göttlicher Gnade. Was bedeutet dies für jemanden, der ziemlich einsam und allein nachts zwischen Rohrleitungen und Computermonitoren darüber wacht, dass die Raffinerie nicht in die Luft fliegt? Gibt der Glaube Selbstvertrauen und Mut beim Tragen so großer Verantwortung? Nach diesem Gespräch sehe ich Tankstellen mit anderen Augen.