Was treibt Telekomtechniker, Automechaniker und Projektmanager dazu, amerikanische Bürgerkriegs-Soldaten oder Trapper zu mimen? Am Wochenende boten die Hobby-Westleute in Norderstedt Einblicke in ihr Rollenspiel.

Norderstedt. Private Stefan Heers (44) hat seine Springfield Rifle, Kaliber .58, gegen eine Stange des Vorzeltes gelehnt. Das Koppel, daran die kleine Ledertasche mit den Zündhütchen, das Bajonett und ein Nahkampfmesser, liegt im Gras, daneben der Schulterriemen mit der Patronentasche, der Brotbeutel aus Segeltuch und die blecherne Trinkflasche. Private Heers hat es sich in einem Stuhl unter dem Vorzelt bequem gemacht. So sehr dies eben geht. Denn die Sonne brennt auf der schweren, wollenen Uniform-Jacke im Blau der Unionisten, der Nordstaaten Amerikas. Gemeinsam mit Private Gerold Volkmann (35), mit dem er das Zelt teilt, wartet Heers schwitzend darauf, dass sich ihre Kompanie, die 20th Maine Volunteer Infantry, die in der ersten Brigade der ersten Division des fünften Korps der Potomac Army diente, endlich in die Schlacht für die Freiheit, für die Vereinigten Staaten und gegen die Sklaverei und die Konföderierten der Südstaaten in den Kampf wirft.

Der Betrachter zweifelt: Ist das hier 2009, oder doch 1861?

Würde man jetzt einfach am Zelt der beiden Soldaten vorbeigehen, würde man ignorieren, dass wir das Jahr 2009 und nicht 1861 schreiben und ausblenden, dass das Zelt auf einer Wiese neben der Schießanlage der Schützengemeinschaft Norderstedt am Schierkamp steht, dann wäre hier alles stimmig und ganz im Stil und Gefühl des amerikanischen Bürgerkrieges.

Doch die beiden Männer aus Buchholz, die zum 6. Westerntreffen angereist sind, machen einfach zu neugierig. "Ich bin Private Heers, ich habe keinen Dienstgrad, bin quasi so etwas wie Schütze Arsch", stellt sich der 44-Jährige vor. Gemeinsam mit Gerold Volkmann und anderen hat sich Heers der historisch korrekten und detailbesessenen Darstellung einer Kompanie von Freiwilligen aus dem Bundesstaat Maine verschrieben, die im Sezessionskrieg (1861-1865) kämpften. Die beiden sehen sich nicht als große Jungs, die Krieg spielen. Sie sind "Reenacter", also historische Darsteller, die längst vergangene Zeiten lebendig werden lassen.

Sie lieben den Drill, aber sie haben nie wirklich gedient

"Die Kleidung, die Ausrüstung, die Waffen und das Zelt sind originalgetreue Nachbildungen. Uns ist es sehr wichtig, dass hier keine Gegenstände herum liegen, die es damals nicht gab" sagt Gerold Volkmann und blickt kritisch auf ein klapp- und zusammensteckbares Essbesteck, dass Stefan Heers auf den Tisch gelegt hat. "Brauchst' gar nicht so schauen! Das gab es damals schon! Wirklich!", verteidigt sich Heers. "Zumindest hat der Typ dir das erzählt, dem du es abgekauft hast", ätzt Volkmann. Was sich nicht selber herstellen lässt, kaufen sich die "Reenacter" im Internet und im Militaria-Handel zusammen. Und da braucht es schon genaue Kenntnisse - und manchmal viel Vertrauen in den Verkäufer.

Abgerödelt ist Stefan Heers technischer Mitarbeiter bei der Telekom. Und Gerold Volkmann repariert Autos zum Broterwerb. Bei den 20th Maine Volunteers nehmen die beiden regelmäßig Asyl vom grauen Alltag. Der Norderstedter Treff ist nur ein gemütliches Stelldichein von Gleichgesinnten. Richtig zur Sache geht es bei den großen "Reenactment"-Treffen auf den Truppenübungsplätzen der Republik. "Da werden Schlachten nachgespielt. Und wir treten dann ganz normal morgens um 5 Uhr an, dann wird gedrillt und danach geht's an die Front", sagt Private Volkmann, der ebenso wie Heers nie in einer echten Armee gedient hat.

Dass in Norderstedt nur wenig so ist wie 1861 in Amerika, beweist sich in direkter Nachbarschaft der Unionisten Heers und Volkmann. Da kampieren drei deutsche Freiwillige, die für die Südstaaten in den Krieg ziehen wollen. Die Südstaaten-Flagge "Stars and Bars" weht im Wind. Und in einer der aus Zeltplanen und Sperrholz gebauten und nach ihrer Form benannten A-Hütten hängt ein Emaille-Schildchen: "Zu meiner Familie gehörten früher auch Sklaven, heute heißen sie Hausfrauen." Doch Andreas Kobe (47) und Martin Frenzel (46) aus Hamburg meinen das alles andere als bierernst. Sie sind Wild-West-Fans und kamen über die Country- und Western-Musik, den Square-Dance und die Liebe zum Lagerleben in die Western-Szene. "Du bist aus der Welt, vergisst den Alltag und triffst faszinierende Menschen", sagt Projektmanager Kobe. Besonders gemütlich werde es abends, wenn die Lagerfeuer brennen und sich die West-Leute auf ein "Getränk" treffen. Dafür ist Tischler Frenzel bei den drei Südstaatlern zuständig. Der mischt den besten "Hudson", ein butterweich den Hals ölender Likör, den er Gästen aus der Karaffe anbietet und dessen Rezept eines jeden Westmannes Geheimnis ist. "Der gute Jack Daniels spielt aber eine Rolle, ebenso wie der Rum", sagt Frenzel.

Trapper Udo erzählt vom wilden Leben der Fallensteller

Die Trapper, die Fallensteller, haben den "Hudson" wohl erfunden. Einer, der das Trapperdasein lebt und das wissen muss, sitzt unter seinem offenen Halbzelt, mit rückenlangen Haaren, das gegerbte Gesicht zur Hälfte hinter einem langen Bart versteckt. Udo Grantin (49) aus Trittau, Be- und Entlader in einem Metallbetrieb, ist jedes zweite Wochenende draußen, egal bei welchem Wetter.

Die Kaffeekanne steht auf dem kleinen Kohlenherd, den Kaffee hat seine Frau Renate (57), die im bürgerlichen Leben Operationsräume reinigt, gerade in einer für Feuerstellen geeigneten Mühle geröstet. Jetzt rührt sie den Teig für einen Ananas-Kuchen, den sie später auf den offenen Kohlen backen wird. Udo kennt die Geschichte der Trapper genau, weiß alles über die rauen Einzelgänger, die den amerikanischen Biber für die Zylinder-Produktion in Europa fast ausrotteten und das verdiente Geld bei den Treffen mit den Pelzhändlern versoffen und verhurten. Den Hudson hat man wohl nach der Hudson Bay Company benannt, eine großen Trapper-Firma, und weil sich Trapper den Rum gerne mit Ahornsirup verlängerten. Doch Udo und Renate wirken nicht so, als interessierten sie die historischen Details im Übermaß. Und das Ballern mit historischen Waffen lockt sie auch nicht unter der Zeltplane hervor. Udo und Renate lieben das Einfache, das Draußensein in der Natur und das Kuscheln unterm Schafsfell in eisigen Nächten unter freiem Himmel.

Echte Trapper eben.