Wo künftig der Verkehr auf der Autobahn fließen wird, beginnen jetzt die Ausgrabungen der Altertumsforscher - für sie ist es eine Fundgrube.

Kreis Segeberg. Sie stoßen auf einem Acker bei Wittenborn auf Überreste alter Siedlungen. Szabolcs Deak steckt knietief im Loch und bearbeitet die Seitenwand mit einem Spatel. Erst bei genauerem Hinsehen ist zu erkennen, was den 31 Jahre alten Grabungsfacharbeiter so fasziniert: Eine dunkle Verfärbung am Rande der kleinen Grube. Ein Laie würde sie übersehen, für Szabolcs Deak aber ist klar, dass es sich um die Überreste eines Holzpfahles handelt. Und es war nicht irgendein Pfahl: Vor etwa 1500 Jahren hat hier ein Gebäude gestanden - vermutlich ein dreischiffiges Wohnstallhaus. Darauf lassen die kleinen Gruben in der Nähe schließen. Alle zeigen die dunklen Verfärbungen, die von einem Holzpfahl stammen, der vor 60 Menschengenerationen eine Hausmauer abgestützt hat. Hier müssen einst Menschen in einer Siedlung gelebt haben.

Wo einst Germanen siedelten, brodelt in einigen Jahren der Verkehr. Denn diese Ausgrabungsstätte auf einem Acker in Wittenborn, westlich von Bad Segeberg, liegt genau dort, wo 2009 die Bauarbeiten für eine Autobahnab- und auffahrt beginnen.

Die künftige Trasse der A20 ist eine Fundgrube für Altertumsforscher. Sie können auf den Flächen großräumig "wühlen" und nach Zeugen der Vergangenheit suchen. Diese künftigen Autobahnflächen gehören teilweise bereits dem Bund, falls nicht, erhalten die Landwirte eine Entschädigung, wenn die Archäologen einfallen und mit ihrer langwierigen Arbeit beginnen.

Neben den Autobahnplanern wurde auch das Archäologische Landesamt frühzeitig in die Planungsphase einbezogen. Auf diese Weise wird verhindert, dass durch den Straßenbau das kulturelle Erbe verloren geht. Die Archäologen haben seit 2006 zwischen Glückstadt und Bad Segeberg emsige Arbeit geleistet und sind dabei auf Siedlungsstrukturen aus der Bronzezeit gestoßen.

Am Ortsausgang von Bad Segeberg haben sie zum Beispiel einen großen Urnenfriedhof entdeckt. 317 Fundstücke, überwiegend Urnen, die aus der römischen Kaiserzeit stammen, sind das Ergebnis der akribischen Suche. Bis etwa 400 nach Christus haben Germanen hier ihre Toten verbrannt und die Überreste in Urnen bestattet. Als Beigaben wurden zum Beispiel Glätteisen, Ringe, Glasperlen oder Gewandnadeln (Fibeln) aus Silber gefunden.

Während eine Siedlung im Segeberger Raum noch nicht gefunden wurde, ist das Archäologen-Team um Ausgrabungsleiter Dr. Ingo Lütjens einige Kilometer weiter in Wittenborn fündig geworden. Die Grabungsmitarbeiter haben die Fundstellen mit farbigen Papptellern markiert: Die roten Punkte markieren Stellen, an denen einst dachtragende Pfosten gestanden haben, weiße Markierungen zeigen die Standpunkte von Pfosten an, die Außenwände getragen haben. Mehr geben die Bodenverhältnisse nicht her, weil alles andere im Laufe der Jahrhunderte verrottet ist. Trotzdem können die Fachleute Größe, Art und Lage der Häuser rekonstruieren. Die Tiefe der dunklen Pfostenmarkierungen zum Beispiel zeigt die Schwere der Stützlast an.

Die Grundrisse von fünf Langhäusern und einem Grubenhaus wurden hier seit Frühjahr 2008 von Ingo Lütjens und sieben Grabungsmitarbeitern freigelegt. "Wir gehen stark davon aus, dass in der Nachbarschaft noch weitere Häuser gestanden haben", sagt der Archäologe. Bis zum nächsten Jahr hat er noch Zeit, hier zu graben. Sollten sich seine Vermutungen bestätigen, so wäre es der größte Siedlungsfund aus dieser Zeit in Schleswig-Holstein.

Wenn erst der Verkehr fließt, wird davon nichts mehr zu erkennen sein. Die Ausgrabungsergebnisse sind dann längst aufgearbeitet und vom Archäologischen Landesamt archiviert. Die Aufarbeitung wird Generationen von Studenten beschäftigen. "Darüber wird so manche Doktorarbeit geschrieben", vermutet Ingo Clausen, Gebietsdezernent und Leiter der Außenstelle des Archäologischen Landesamtes in Neumünster.