Der Wald ist ihr Abenteuerspielplatz: Die Kinder dürfen in jede Pfütze springen und mit Sägen und Messern hantieren. Unfälle passieren selten und krank werden die Kinder unterm Blätterdach fast gar nicht.

Norderstedt. Ein Baumstumpf als Sprungplattform, eine tiefe Matschkuhle voller Regenwasser - und hinein mit Wonne! Lasses Regenhose und Gummistiefel zeugen, bis zur Hüfte schlammbespritzt, vom Sprung ins Kinderglück, der kleine Junge grient wie ein Honigkuchenpferd. Jetzt ist der (Kindergarten-)Tag doch klasse, die Angst wegen des Donnergrollens in weiter Ferne völlig vergessen. Zusammen mit Leon und Michel holt sich Lasse eine Säge im handlichen Miniformat, um Stöcke zu zerteilen.

Die "Marienkäfer", die Waldgruppe der Norderstedter Kita Forstweg, tummeln sich an jedem Wochentag und natürlich bei jedem Wetter auf ihrem Areal im Forst Harthagen. Der Wald, auf dessen Blätterdach an diesem Tag dicke Regentropfen klatschen, ist für die drei bis sechs Jahre alten Kinder ein einziger großer Abenteuerspielplatz.

Die Waldgruppe, die im Herbst 2002 gegründet worden ist, wird von den Erzieherinnen Doreen Lüsch und Andrea Lüdeke betreut. Beim morgendlichen Treffen am Waldrand sieht es aus, als sammle sich eine Wanderergruppe zu einer längeren Trekking-Tour. Funktionskleidung muss natürlich sein, wenn die Kinder auch bei Regen für ein paar Stunden über Stock und Stein klettern, der Proviant ist in Rucksäcken verpackt, und es scheint, als trügen die kleinen Wikinger gleich Schilde auf dem Rücken. Des Rätsels Lösung: Die "Marienkäfer" haben alle eine Iso-Sitzmatte dabei. Damit der Po nicht kalt wird, wenn sich die Waldkinder zum Frühstück unter den Bäumen oder in ihrer Schutzhütte zusammenfinden.

Na klar, auch in diesem Kindergarten wird zuerst zusammen gesungen, erzählt und gereimt. Aber dann geht es "situationsorientiert" weiter, wie Pädagogin Doreen Lüsch erklärt. Sie schwört auf das Konzept des Waldkindergartens: "Ich bin 20 Jahre in diesem Beruf - etwas anderes als dies kann ich mir nicht mehr vorstellen." Die "Marienkäfer" seien ausgeglichen, verhielten sich sehr sozial. "Und es gibt ein intensives Gemeinschaftsgefühl", lobt Doreen Lüsch.

Ihre Schützlinge sind über die Fläche rund um die Schutzhütte verstreut. Ein paar von ihnen bauen an einem Tipi aus Ästen weiter, Emma und Noa backen in ihrer Waldküche (Sand-)Kuchen, einige Kinder schnitzen und sägen, andere zeigen sich gegenseitig Krabbeltiere, die sie auf dem Waldboden entdeckt haben. Für den Fotografen demonstrieren sie stolz, wie gut sie über einen gefallenen Baumstamm balancieren können. Bewegung ist Grundlage des Lernens, sagen die Waldpädagogen. Beim Laufen, Springen und Hangeln entwickelten die Kinder grobmotorische Fähigkeiten und Körpergefühl, aber auch die Feinmotorik werde geschult. Und was ist mit einer PC-Schulung, mit der andere Kitas schon ganz früh beginnen? "Computer brauchen und wollen wir nicht", sagt Doreen Lüsch kategorisch. Die Waldkinder dürfen sich, im Rahmen bestimmter Regeln und Gebietsgrenzen, auch einmal alleine zurückziehen, um einfach in einer stillen Ecke zu sich zu finden und zu entspannen.

Besondere biologische Kenntnisse werden im Waldkindergarten nicht vermittelt - die "Marienkäfer" kennen sich dank des täglichen Erlebens ohnehin gut aus. Und gehen verantwortungsvoll mit Fauna und Flora um. "Sie lernen, Verantwortung für sich und für die Natur zu übernehmen", betont Erzieherin Lüsch.

Aber ist das nicht alles furchtbar gefährlich? Sind die Kinder nicht laufend krank? Althergebrachte Klischees, die die Wald-Kindergärtnerin nach mehrjähriger Erfahrung entkräften kann. Es habe in sieben Jahren keinen größeren Unfall gegeben. Für alle Fälle haben die Erzieherinnen Handys dabei, und die Autos sind nur wenige Hundert Meter entfernt. Ohne, dass sie ermahnt werden müssen, beachten die kleinen Säger und Holzschnitzer die Sicherheitsregeln, die sie gelernt haben. "Natürlich ist auch bei uns einmal ein Kind krank. Aber generell haben unsere Kinder ein sehr gutes Immunsystem", sagt Doreen Lüsch.

Und was ist, na ja, was ist, wenn die Mädchen und Jungen einmal müssen? Auch alles kein Problem, die Erzieherin lacht: "Wir haben spezielle Toilettenbäume und ,Piescherstühle'. Die Kinder finden das lustig."

Für die Vorschulkinder der "Marienkäfer"-Gruppe sind es die letzten Tage in ihrem Kindergarten unter Eichen, Buchen und Kiefern. Nach den Ferien kommen sie in die Schule. Dann werden in der bis dato 15-köpfigen Waldgruppe der Kita wieder Plätze frei. "Wir informieren Interessenten gerne", sagt Doreen Lüsch, "aber die Eltern müssen zu 100 Prozent dahinter stehen. Und es sind nicht alle Kinder für einen Waldkindergarten geeignet."

Längst achtet auch der Berichterstatter nicht mehr auf den Regen und die inzwischen matschigen Schuhe. Und Lasse steht wieder auf seinem Baumstumpf über der Suhle: "Soll ich noch mal springen?!"