Das Konzept der sozialpsychiatrischen Einrichtung hat sich überholt. Mitte der 70er-Jahre galt der Bau im Getreidefeld noch als revolutionär.

Norderstedt. Als Hausmeister Dieter Puls sich den Schraubendreher schnappte und das Schild am Eingang abmontierte, wurde manchem Beobachter wehmütig ums Herz. Mitarbeiter der letzten Stunde lieferten den Höhepunkt, als sie ein Grabgebinde mit der Aufschrift "Als letzten Gruß" heraustrugen und zusammen mit dem Schild unter einem Baum platzierten: So traurig war der Abschied vom Brüderhof. Die sozialpsychiatrische Einrichtung des Rauhen Hauses wurde am Dienstagabend für immer geschlossen. Die meisten Bewohner hatten das Haus schon vor Monaten verlassen.

Als Modelleinrichtung war der Brüderhof 1976 an der Grenze zu Henstedt-Ulzburg in der Straße Beim Brüderhof eröffnet worden. Die im Bungalowstil gebaute Einrichtung, idyllisch inmitten von Getreidefeldern gelegen, bot im Laufe der Jahrzehnte Hunderten von älteren, psychisch erkrankten Menschen mit einem hohen Hilfebedarf eine Heimat. Die jeweils 94 Bewohner waren am Tagesablauf beteiligt und konnten so ein weitgehend normales Leben führen.

Vor 33 Jahren war dieses Konzept der zentralen Unterbringung fernab jeglicher Wohnbebauung revolutionär. Denn die meisten Bewohner des Brüderhofes waren vorher stationär in Landeskrankenhäusern betreut worden. "Dieses Konzept hat sich inzwischen aber überholt", sagt Dr. Friedemann Green, Pastor und Vorsteher der Stiftung Das Rauhe Haus. "Eine Epoche geht hier zu Ende."

Denn längst wurden neue Erkenntnisse umgesetzt, um psychisch kranke Menschen zu betreuen: Die Betreuung erfolgt nicht mehr zentral, sondern dezentral. Der Stiftungsbereich Sozialpsychiatrie des Rauen Hauses hat in Hamburg vier Regionalzentren eingerichtet, die stationäre und ambulante Betreuung bieten; ein fünftes Zentrum ist geplant. Viele, der hier einst betreuten Menschen, leben heute in einer eigenen Wohnung oder Wohngemeinschaft und werden ambulant betreut. Insgesamt leben in den derzeit vier Regionalzentren mehr als 350 Betroffene.

"Im Brüderhof wurden die Menschen ausgegrenzt", sagt Stiftungsbereichsleiter Hans-Hermann Gerdes. Für jeden einzelnen Bewohner sei der Abschied ein schwerer Schritt gewesen, strukturell sei dieser Schritt aber richtig und wichtig. "Auch diese Menschen wollen mitten im Leben stehen." Schon vor mehr als zwei Jahren wurden die ersten Bewohner umgesiedelt, bis vor wenigen Wochen wurden hier noch 25 Personen betreut.

Die wehmütige Abschiedsstimmung der rund 45 Mitarbeiter, die hier zuletzt tätig waren, ist zwar zu verstehen, im Grunde aber herrschte kein Anlass zur Trauer: Niemand wird entlassen, alle haben in den Regionalzentren des Rauhen Hauses eine andere Arbeit gefunden. Hausmeister Puls zum Beispiel wird künftig im Regionalzentrum Ohlsdorf tätig sein. Mit Jazz-Standards und Fingerfood wurde den Mitarbeitern der Abschied am Dienstag leichter gemacht.

Gestern wurden die Möbel vom Norderstedter Umzugsunternehmen Filter abtransportiert, in den nächsten Tagen rücken die Bauarbeiter an: Die charakteristischen weiß-gelben Brüderhof-Bungalows an der Nahtstelle von Norderstedt und Henstedt-Ulzburg werden abgerissen. Auch dabei wird sich zeigen, wie sich die Zeiten verändert haben: Für die fachgerechte Beseitigung der 1976 verbauten Asbestplatten ist ein Spezialunternehmen zuständig. Hätte diese Einrichtung weiter bestanden, so wäre eine aufwendige und kostspielige Sanierung fällig gewesen.