Familie Tiffert aus Norderstedt betrachtet das Leben mit ihrem behinderten Sohn als etwas völlig Normales.

Norderstedt. Benjamin kam sechs Wochen zu früh. Ein kleines Bündel Mensch - 1820 Gramm. Er musste in den Brutkasten, bekam eine Gelbsucht, dann eine Lungenentzündung. Er überlebte diese erste Phase seines Lebens und war ein munteres Baby und blieb es auch. Erst eine Chromosomenuntersuchung brachte es an den Tag: Als Benjamin sieben Wochen alt war, erklärten die Ärzte den Eltern, dass er das Down-Syndrom hat. "Für uns ist damals eine Welt zusammengebrochen", sagt Jutta Tiffert, die stellvertretende Vorsitzende des Norderstedter Vereins für Körper- und Mehrfachbehinderte. "Warum ausgerechnet wir?"

Das war vor 27 Jahren. Benjamin Tiffert ist heute ein fröhlicher junger Mann, der in seinem begrenzten Rahmen selbstständig ist und das Leben bewältigt. Jutta (55) und Wilfried Tiffert (59) haben das Leben mit ihren Sohn gemeistert, weil sie sich auch in schwierigen Zeiten immer ein Stück Normalität bewahrt haben. Die kleine Familie hat bewiesen, dass mit Mut und einer gehörigen Portion Energie auch der Alltag mit einem behinderten Kind fröhlich sein kann.

Jutta und Wilfried Tiffert haben ihren Benjamin von Anfang an nicht versteckt. "Wir haben ihn überall mit hingeschleppt und hatten keine Angst, mit ihm auf Leute zuzugehen", sagt seine Mutter. "Er war ein Baby wie jedes andere auch." Und wer das nicht akzeptieren wollte, war für sie gestorben. Das klingt schroff, aber für die Familie Tiffert war das damals die einzige Chance, um mit dieser Situation umgehen zu können. Zwar gab es die Spielgruppe für Kinder mit Down-Syndrom im Hamburger Werner-Otto-Institut, aber das bedeutete auch Isolation. Jutta Tiffert besuchte mit Benjamin regelmäßig diese Gruppe, sorgte aber genau so intensiv dafür, dass der Junge mit anderen Kindern in der Nachbarschaft spielen konnte. Sie machte den Kindern in der Reihenhaussiedlung in der Helene-Weber-Straße in Norderstedt klar, wie es um Benjamin bestellt ist: Er ist zwar anders, aber man kann trotzdem etwas mit ihm anfangen. Ein bisschen Normalität im Alltag mit einem behinderten Kind- für die Familie Tiffert war das wichtiger Schritt, um im Leben nicht den Halt zu verlieren.

In der Schule für Geistig Behinderte am Hasenstieg in Norderstedt wurde Benjamin nach Ansicht der Eltern wirklich gefördert. Zivildienstleistende brachten ihm Judogriffe bei, was sein Selbstvertrauen stark gefördert hat. Nach der Schule dann der Eintritt in die Norderstedter Werkstätten, in denen behinderte Menschen eine ihnen angemessene Arbeit verrichten können. Benjamin hat dort sein Betätigungsfeld in der Küche gefunden, wo er in der Essensausgabe tätig ist, den Abwasch macht und auch die Tische nach dem Essen abwischt.

Ansonsten bestimmt Sport sein Leben: Dienstags Fußball beim integrativen Sportverein Norderstedt, mittwochs Reiten in Alveslohe, freitags Tennis beim TC Tangstedt und an jedem zweiten Wochenende geht es mit drei Freunden in die HSV-Arena im Hamburger Volkspark: Seit Jahren schon besitzt Benjamin Tiffert eine Dauerkarte für die Heimspiele des HSV.

Das Leben mit einem behinderten Kind, das längst zu einem gleichberechtigten Partner im gemeinsamen Haus geworden ist, hat Jutta und Wilfried Tiffert geprägt. Es hat sie offen gemacht für die Situation anderer Familien, die sich mit einem behinderten Kind zurechtfinden müssen. Der Eintritt in den Verein für Mehrfachbehinderte und das spätere Engagement im Vorstand war für Jutta Tiffert, der gelernten Bankkauffrau, deshalb auch nur folgerichtig. Wenn das Ehepaar jetzt zurückblickt, erinnern es sich kaum noch an die anfänglichen Belastungen, Probleme und Ängste. "Wir sind da so hineingewachsen", sagt Jutta Tiffert. "Das alles war für uns nach einer gewissen Zeit völlig normal."

Heute ist Benjamin ein ausgeglichener und ruhiger junger Mann geworden. Fremden tritt er freundlich, aber auch abwartend gegenüber. Im Dachgeschoss des Reihenhauses bewohnt er zwei Zimmer, in denen er schalten und walten kann. Ein eigener Fernseher, eine Stereoanlage und sogar ein Laptop gehören zur Ausstattung. "Benjamin kann sich beschäftigen", sagt Jutta Tiffert. Benjamin nickt dazu und ergänzt lachend. "Nur manchmal habe ich Langeweile." Seine Eltern versuchen allerdings, diese Langeweile zu umgehen: Im letzten Urlaub musste er das Gartenhäuschen streichen, im nächsten Urlaub ist das Carport an der Reihe. Und dann ist da auch noch Hund Struppi, der von ihm gehätschelt wird.

Haben die Eltern im Leben etwas versäumt? Jutta Tiffert muss nicht lange nachdenken. "Ich glaube nicht; denn das Leben mit einem behinderten Kind kann auch eine Bereicherung sein." Auf größere Urlaubsreisen haben sie verzichtet, wenn es außerhalb des Hauses etwas zu feiern gab, ist Benjamin mitgekommen oder einer der beiden Eltern ist zu Hause geblieben.

Benjamin, so glaubt seine Mutter, ist glücklich mit seinem Leben. Er soll aber nicht für immer im Dachgeschoss des Reihenhaus wohnen bleiben. Denn auch Benjamin hat den Wunsch, in den eigenen vier Wänden zu leben. Ziel seiner Eltern ist es, den Sohn eines Tages in eine Wohngemeinschaft zu integrieren, die es in dieser Form in Norderstedt noch nicht gibt: Eine Hausgemeinschaft, wie sie der Verein für Körper- und Mehrfachbehinderte in Norderstedt einrichten möchte.