Alles dreht sich um Krabbe: Die Besitzerin der Norderstedter Tanzschule “Fame“ berichtet über den Alltag mit einer Jung-Meise.

Norderstedt

Vor wenigen Wochen kam mein Sohn aufgeregt nach Hause und meinte, in unserem Briefkasten an der Gartenpforte würde ein Vogel brüten. Neugierig schaute ich nach - und tatsächlich: Sieben kleine Eier lagen dort in einem Nest. Regelmäßig beobachteten meine Familie und ich jetzt heimlich und in einiger Entfernung den neuen Nachbarn, eine Meisenfamilie. Dem Briefboten baten wir derweil, die Post nicht mehr in den Briefkasten zu werfen.

Nach kurzer Zeit schlüpften die ersten Küken. Natürlich ließen wir unsere fröhliche kleine Meisenfamilie in Ruhe und beobachteten weiter aus der Ferne.

Doch nach wenigen Tagen, es waren erst kürzlich die letzten drei Küken geschlüpft, gab es Tumult im Briefkasten. Leider haben wir nicht mitbekommen, was genau geschehen ist, fest stand nur, es waren nur noch die drei letztgeschlüpften Küken im Briefkasten.

Am nächsten Morgen konnten wir weder Mama noch Papa Meise zum Nest fliegen sehen, stattdessen mehrten sich nach wenigen Stunden die Schmeißfliegen, die in den Briefkasten rein- und rausflogen. Ich wurde unruhig und öffnete den Briefkasten.

Und da lag Krabbe - halb tot neben seinen bereits gestorbenen zwei Geschwistern. Ich dachte mir, dass unter diesen Umständen die Eltern bestimmt nicht mehr zum Nest zurückkämen, und entschied mich zu versuchen, das zwei bis drei Tage alte Küken aufzupäppeln. Ich legte es in eine alte Mütze meiner Tochter und hielt es immerzu an meinem Körper. Krabbe hatte so gut wie keine Federn, war winzig klein und wog ganze neun Gramm. Die Augen hatte er noch fest geschlossen. Viele Chancen hatte ich dem kleinen Flieger ehrlich gesagt nicht eingeräumt.

In den ersten Stunden habe ich ihn mit der Pinzette zwangsernährt. Ich wusste ja nicht, was so eine Babymeise frisst, und so schickte ich meine Kinder Fliegen und Regenwürmer fangen, die ich der Meise in kleinen Portionen anbot. Ein Tierarzt empfahl mir noch Quark und Traubenzucker. In der Nacht habe ich ihn in meiner Hand gehalten, um ihm Körperwärme zu geben und ihm zu zeigen, dass er nicht alleine ist.

Gleich am nächsten Morgen fuhr ich los, um Aufzuchtfutter und Mehlwürmer sowie Heimchen zu besorgen. Krabbe sah nun schon etwas fitter aus und verlangte jetzt selbstständig nach seinem Futter, indem er leise piepste und den Schnabel weit öffnete.

Meisenmama zu sein ist ein Fulltimejob: Wenn Krabbe nicht gerade fressen wollte, wollte er kuscheln, jedenfalls nahm ich das an. Denn immer, wenn ich ihn in meine Faust nahm, wurde er ruhig und schlief ein. Ich nahm Krabbe zwangsläufig überall mit hin. Transportiert habe ich ihn in seiner Mütze in meinem Ausschnitt, da hatte er es warm. Die Arbeit in meiner Tanzschule musste ja weiter gehen. Also war Krabbe auch im Unterricht dabei. Meine Tanzschüler fanden es ausgesprochen lustig, eine Tanzlehrerin zu haben, die offensichtliche eine Meise hat.

Inzwischen hatte ich mir für nachts eine kleine Transportbox angeschafft. Denn nach drei Nächten fast ohne Schlaf war ich ziemlich ausgelaugt. Während Krabbe es genoss, sicher und warm in meiner Hand zu schlafen, hatte ich immer Angst, ihn im Schlaf zu erdrücken. Aber ich hatte mich nicht getraut, die kleine Meise für längere Zeit alleine zu lassen, denn in der Natur wären ja auch seine Geschwister und seine Eltern ständig bei ihm gewesen.

Krabbe entwickelte sich gut, und nach drei Tagen öffnete er das erste Mal seine Augen. Was er wohl gedacht hat, als er mich, meinen Ehemann, die drei Kinder und den großen schwarzen Hund sah? Aber von Scheu keine Spur, im Gegenteil, er genoss es, von allen Seiten bekuschelt zu werden.

Meine jüngste Tochter geht in die erste Klasse, wo ich einmal in der Woche den Job der Lesemami übernehme. Natürlich nahm ich auch Krabbe mit in den Unterricht. Schon wurde der Leseunterricht zum Sachkundeunterricht. Krabbe fühlte sich pudelwohl mitten in dieser Kinderschar: Er putze sich seine fünf Federn, piepste fröhlich vor sich hin und guckte neugierig um sich.

Krabbe ist jetzt seit zweieinhalb Wochen bei uns. Er hat einen eigenen Käfig und übt inzwischen fleißig das Fliegen. Allerdings enden seine Flugversuche meistens auf dem Boden, wo er sich dann jämmerlich beschwert und aufgeregt mit den Flügeln schlägt, wenn ich ihn dann hole.

Krabbe ist sehr handzahm und scheint vor nichts Angst zu haben. Wenn ich mit ihm im Büro bin, hüpft er auf der Tastatur rum und animiert mich immer wieder, mich mit ihm zu beschäftigen. Er piepst und singt ohne Pause. Nur am Abend liegt er wie immer in meiner Hand und schläft, während ich fernsehe.

Tja, und nun kommt auch bald der Tag, an dem ich ihn auswildere. Ich werde ihm einfach seinen Käfig auf die Terrasse stellen und die Tür öffnen. Selbstverständlich werde ich ihm regelmäßig Fressen und frisches Wasser hinstellen, in der Hoffnung, dass er mich mal besuchen kommt. Allerdings glauben einige meiner Freunde nicht, dass Krabbe wirklich wegfliegt - weil er so zahm und anhänglich ist. Schauen wir mal!