Er hat die Patenschaft für die Verteilstation vor seinem Haus übernommen. Nun appelliert der agile Senior an andere Norderstedter, seinem Beispiel zu folgen und aktiv zu werden.

Norderstedt

Wolfgang Stradt (74) ist ein Mann der Tat. Wo andere nach dem Staat rufen, wird der agile Rentner selbst aktiv. Regelmäßig greift der Norderstedter zu Farbe und Pinsel, um die Schmierereien auf "seinem" Schaltkasten zu übermalen. Er hat den schlichten grauen Kasten adoptiert. "Ich habe eine Patenschaft für ihn übernommen", sagt Stradt ganz ernsthaft.

Und wie sich das für einen Paten gehört, pflegt er sein "Patenkind". Immer wenn jugendliche Farbschmierer ihre Zeichen, die sogenannten tags, auf die Tür des Schaltkastens an der Ecke Weg am Denkmal/Am Schulwald gesprüht haben, geht Stradt in seinen Schuppen und holt sich die Maler-Utensilien. "Ich habe immer einen Pott Farbe da vom Fenster-Anstrich da stehen", sagt der Mann, der früher zur See gefahren ist. Da habe er Teamgeist erlabt, jeder muss seinen teil dazu beitragen, dass Schiff und Ladung auch schwere See meisten und in den Zielhafen einlaufen.

An den Gemeinschaftssinn appelliert Stradt auch beim Kampf gegen die Farbschmierereien, die regelmäßig Verteilerkästen, Briefkästen und Häuserwände verunstalten. "Wenn jeder Anwohner die Verantwortung für den Stromkasten in seiner Nähe übernimmt, würden wir diese Art der Sachbeschädigung wahrscheinlich ganz schnell in den Griff kriegen. Und zwar allein mit bürgerschaftlichem Einsatz und ohne das Eingreifen der Verwaltung", sagt Stradt. Wenn die Schmierereien unverzüglich beseitigt werden, würden andere Sprayer gar nicht erst animiert, ihre tags darüber zu sprühen - eine Erkenntnis, die auch Polizei und Firmen vertreten, die Schmierereien professionell entfernen. "Und einen Pott Farbe und Pinsel hat ja jeder Hausbesitzer im Keller", sagt Stradt, der sich durch den jüngsten Fang der Polizei in seiner Forderung bestätigt sieht: Erst vor einigen tagen hatte die Polizei in Norderstedt vier Jugendliche ermittelt, die seit Monaten etliche Wände verschmiert haben. Der Schaden beläuft sich laut Polizei auf mehr als 10 000 Euro (wir berichteten). "Das Thema beschäftigt uns immer wieder", sagt Norderstedts Polizeichef Dieter Aulich. Obwohl die Täter Sozialstunden ableisten und ihre Eltern für den Schaden aufkommen müssen, wenn die Sprayer, wie in diesem Fall, noch nicht volljährig sind, gehören die Schmierereien nach wie vor zum Stadtbild.

Auch andere Maßnahmen im Kampf gegen das illegale Sprühen blieben bisher wirkungslos. Zwar nehmen die Sprayer das Angebot gern und dankbar an, weiße Wände ganz legal mit ihren Kunstwerken aus der Dose verzieren zu dürfen. Das hält sie aber nicht davon ab, nur wenig später wieder in die Illegalität abzutauchen und ihre tags zu hinterlassen. Auch Belohnungen haben keinen nachhaltigen Effekt gebracht. Davon hält Stromkasten-Pate Stradt wenig: "Das führt doch nur zu Denunziantentum." Besser sei es, die Täter gleich dazu zu verdonnern, den Schaden selbst wieder zu beseitigen". Farbe und Pinsel und eine Frist, in der die Schmierereien entfernt sein müssen - das zeige eher Wirkung, als wenn die Jugendlichen irgendwann Sozialstunden ableisten und beispielsweise Papier im park sammeln müssen. Stradt selbst hat schon mehrfach bewiesen, dass sein Aufruf an die Bürger nicht nur ein Lippenbekenntnis bleibt: Er hat beispielsweise mitgeholfen, den Baggersee im Stadtpark zu reinigen und war zur Stelle, als seine Kinder noch jung waren und die Klassenzimmer einen neuen Anstrich brauchten.

Früher sei die Selbsthilfe viel ausgeprägter gewesen als heute. "Da fällt es doch vielen gar nicht ein, selbst Hand anzulegen", sagt der Senior. Dabei seien solche gemeinsamen Aktionen nicht nur sinnvoll, weil sie die Stadtkasse entlasten. Wer selbst dazu beitrage, dass die Stadt sauber ist, könne stolz sein. "Außerdem kann das Übermalen von Schaltkästen ja auch eine Gemeinschaftsaktion sein, die viel Spaß macht", sagt Stradt, der nun hofft, dass sein Appell auf Resonanz stößt.