Stocksee. Die Linie 2 ist voll besetzt. Beladen mit schweren Eimern, in denen sich die Früchte ihrer Arbeit der vergangenen Stunden befinden, steigen die Menschen vom Kirschenexpress herunter. Eigentlich ist es nur ein Traktor, der einen offenen Anhänger mit Sitzbänken hinter sich herzieht. Doch derzeit ist er das wichtigste Verkehrsmittel auf Gut Stockseehof. Während der Kirschernte, die hier vor wenigen Tagen begonnen hat, strömen täglich etliche Hundert Besucher in den sonst so beschaulichen Ort. Vor den Toren des Gutshofes werden sie bereits von einem Team von Parkwächtern begrüßt, die ihren Fahrzeugen Platz auf der zur Parkfläche umfunktionierten Pferdekoppel zuweisen. Wer von hier aus nicht zu Fuß den Weg bis zum Gut zurücklegen möchte, nimmt eben Linie 2. Linie 1 des Kirschenexpresses fährt direkt durch die Plantage.
"Wir haben rund 35 000 Bäume mit Schattenmorellen, dazu kommen noch einmal 5000 Süßkirschen", sagt Georg Baur. 1926 hat sein Großvater Gut Stockseehof gekauft. Seither verbringt die Familie einen Teil des Jahres auf dem Land in Stocksee, den anderen in der Stadt. Baurs Vorfahren, ebenso einflussreiche wie wohlhabende Kaufleute, ließen einst den Blankeneser Katharinenhof errichten. 1920 wurde das Gelände verkauft. Noch heute erinnert der Name des Hamburger Grundstücks an die Familie: Baurs Park.
Georg Baur fühlt sich in beiden Welten zu Hause. Wenn er über sein Gut geht, zu dem 500 Hektar Fläche und ein Teil des Stocksees gehören, der dem Hof seinen Namen gab, dann ist er ganz der ausgebildete Landwirt, der einen modernen Agrarbetrieb aufgebaut hat. Hält er sich hingegen in der Stadt auf, besucht Konferenzen und Kongresse, dann ist er wieder Dr. Baur, der Hamburger Kaufmann, der Mitglied in den Aufsichtsräten mehrerer Unternehmen ist. "Schon mein Vater und mein Großvater hatten zwei Hauptberufe", berichtet er, "und ich empfinde es als großes Privileg, sowohl in der Stadt als auch auf dem Land leben zu dürfen."
Mehr als 30 Jahre ist es her, dass die Familie Baur damit begonnen hat, Abschied vom klassischen Bauernhof alter Prägung zu nehmen. Seit Jahrhunderten waren auf Gut Stockseehof, das 1490 erstmals urkundlich erwähnt wurde und einst zum Herzogtum Plön gehörte, Acker- und Viehwirtschaft zu Hause. Von den Tieren hat sich Gut Stockseehof längst getrennt. Raps und Getreide werden nach wie vor angebaut, wenn auch nur noch auf einer Fläche von etwa 250 Hektar Land.
"Unser Bestreben war und ist es, unseren Betrieb von der Agrarpolitik in Berlin und Brüssel möglichst unabhängig zu machen", erläutert Baur. Daher setzt er auf einen konzeptionellen Dreiklang. Dazu gehört zum einen die konventionelle Landwirtschaft. Zum anderen werden die auf dem Gut angebauten Produkte in Eigenvermarktung an den Mann gebracht. Dazu gehören die Kirschen, zu denen die Menschen jetzt pilgern, ebenso wie Himbeeren und gut 10 000 Weihnachtsbäume, die auf 15 Hektar wachsen und von Mitte November an auf Gut Stockseehof verkauft werden. Und schließlich finden dort auch Veranstaltungen statt. Zu den bekanntesten gehören die Gartenausstellung "Park & Garden", zu der im Juni 34 000 Besucher kamen, und der Weihnachtsmarkt, der zu den schönsten seiner Art in Norddeutschland zählt.
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