Knapp 200 Menschen im Wild-West-Fieber tanzten und kämpften um eine von 40 Kleinstrollen. Wer genommen wird, den erwartet zunächst harte Proben-Arbeit an der Seite von Erol Sander. Für manche Kandidaten ein aussichtsloses Unterfangen.

Ein älterer Herr steht in einem viel zu dicken langen Wintermantel in der Frühlingssonne. Er steht unsicher im Staub der Westernstadt am Segeberger Kalkberg. Er schwitzt. So wie einer, der sich im Saloon mit den falschen Kerlen angelegt hat, seine große Klappe nicht halten konnte und nun mit einer verrosteten Knarre mit krummem Lauf auf den sicheren Tod im anstehenden Duell mit den gnadenlosen Halunken wartet.

Um den alten Mann herum stehen die Menschen des Westens und blicken mitleidig, manche lachen. Da sind Squaws in braunem Büffel-Leder mit türkis-schimmerndem Hopi-Schmuck an Armen und Hals. Cowboys, die stolz ihren Stetson tragen, deren Chaps an den Beinen sitzen wie festgewachsen. Seltsam nur, dass draußen vor der Western-Stadt keine Mustangs angebunden stehen. Sondern Opel Kombis und VW Golfs, die mehr Pferdestärken als eine ganze Herde Wildpferde haben, dafür aber seelenlos sind und nicht den Hauch der Würde und Eleganz eines stattlichen Hengstes haben.

Der alte Mann wird es nicht in die Arena schaffen. Da sind sich hier alle sicher. Gesucht werden vier Dutzend tapfere Indianer, harte Westmänner, grimmige Schurken, finstere Banditen und Saloon-Ladies, die mit ihrem Liebreiz selbst den härtesten Pistolero aus den Boots hauen.

Jeder hier bei diesem Statisten-Casting würde seinen Skalp geben, um ausgewählt zu werden, um dabei zu sein im Traum von Karl May, um den Staub der Arena vor Tausenden Zuschauern bei einer saftigen Schlägerei oder einem kultischen Regentanz aufzuwirbeln, um sein Kunstblut im Kalk des Kalkbergs zu vergießen. Der alte Mann aber steht vor dem Chef des improvisierten Wilden Westens, dem Produktionsleiter Stefan Tietgen und fragt: "Wann ist die Vorstellung eigentlich immer aus, und bekomme ich dann noch den Bus in Richtung Hamburg? Krieg ich Freikarten? Und gibt's hinter der Bühne was zu essen? Muss ich ein Kostüm mitbringen? Kommen wir alle ins Fernsehen?"

Der alte Mann bekommt Antworten auf all seine nebensächlichen Fragen. Und als die herrschende Lady am Kalkberg, der Geschäftsführerin Ute Thienel, den vielleicht 200 Anwärtern knallhart erklärt, was hier jeder drauf haben muss, wirkt der Alte wie abgehalftert. "Du musst mindestens 16 Jahre alt sein, körperlich fit, du musst mehrere Rollen spielen, lange Wege gehen und viel reiten. Ab Ende Mai proben wir jeden Abend in der Arena, am Wochenende den ganzen Tag lang, in der Spielzeit zwischen dem 27. Juni und dem 6. September spielen wir donnerstags, freitags und sonnabends um 15 und um 20 Uhr, sonntags um 15 Uhr, nach der Vorstellung ist um 22.30 Uhr Feierabend und für die ganze Zeit bekommst du 1500 Euro."

Das schafft nur, wer den Wilden Westen lebt, arbeitslos oder völlig verrückt ist. Aber, hey - dafür sind die, die es in die Arena schaffen bald auf Du und Du mit Winnetou und nennen Erol Sander, Dorkas Kiefer und Martin Semmelrogge beim Vornamen.

Die Spreu vom Weizen trennen der Stuntkoordinator Steve Szigeti und der Tanzchoreograf Jean Marc Lebon. Eine verwegene Visage oder ein gut geformter Hintern reichen nicht aus für den West-Traum. Wer sich nicht bewegen kann, hat schlechte Karten. Der Tänzer Lebon hat sich vor dem Saloon aufgebaut. Aus seinem kleinen Stereo-CD-Player rufen die Trommeln den Indianerstamm zum Tänzchen ums Lagerfeuer. In zwei Reihen müsse sich immer zehn West-Menschen aufstellen und es dem flinken Lebon gleichtun. Mal geduckt von links nach rechts gehuscht, dann hoch das Bein, danach ein wilder Sprung in die Hocke, das alles im Rhythmus der Trommeln. Während Lebon das alles mit Anmut erledigt, wirken die Statisten wie ein merkwürdiger Hühnerhaufen auf der Suche nach einer Toilette.

Da kommt auch der alte Mann und reiht sich ein, weil er denkt, das kann ich auch. Doch er hebt und senkt nur einmal das Bein, ansonsten verpasst er jeden Einsatz und schaut verdattert auf das Treiben vor ihm. Er schleicht sich und hofft, beim Kämpfen punkten zu können.

Vor dem Tipi in El Grande steht Steve Szigeti und macht den wild entschlossenen Statisten klar, wie ein ordentlicher Nicht-Schlag auf das Kinn des üblen Halunken aussieht. Wie ein Angreifer seinem Gegenüber einen Tritt in die Magengrube gibt, ohne dass diesem das Mittagessen hoch kommt. Manche Kerle treten Szigetis Helfer dann aber wirklich, was für die Helfer unschön und teilweise schmerzhaft und für Szigeti ein klares Indiz für mangelnde Eignung ist. Andere wiederum hauen so überzeugend daneben, dass man Mitleid mit dem Nicht-Getroffenen bekommt.

Der alte Mann steht vor Steve Szigeti. Jetzt endlich zieht er diesen langen blauen Wollmantel aus. Er nimmt schnaubend die Fäuste hoch. Der Stuntkoordinator gibt ihm eine junge Frau als Gegenpart. "Ich schlage keine Frauen!", sagt der alte Mann. Und er beweist so, dass er ein anständiger Kerl ist. Szigeti nötigt ihn aber dazu. Im Wilden Westen kann alles passieren. Also hampelt der alte Mann ein wenig herum vor dem Mädchen. Es sieht so aus, als wolle er ihr ein Eishörnchen wegnehmen und nicht etwa in Wild-West-Manier die Fresse polieren. Dann lässt der alte Mann von ihr ab. "Das war doch gar nicht schlecht, oder?", fragt er die Umstehenden. Und er erntet zumindest ein wenig Zustimmung, die er sich längst verdient hat. Denn er hat den West-Leuten gezeigt, dass auch in ihm der Karl-May-Virus wütet. "Ein blindes Huhn findet auch mal ein Korn. Vielleicht bin ich ja dabei. Und wenn nicht - ja dann muss ich mal sehen", sagt der Alte, nimmt seinen schweren Mantel und verlässt die Stadt in Richtung Westen.