Wenn ich als Pastor über die Kirche und die Religion rede, dann stoße ich oft auf Menschen, die von einem Untergang von Kirche und Glauben überzeugt sind. Gingen früher nicht alle in den Gottesdienst, war ich früher selbst nicht viel frommer als heute? Und wenn man erst an die Großmutter denkt - was für ein Bild von Frömmigkeit! Heute hingegen, so hörte ich erst kürzlich, würden Kirchen ja doch abgerissen!

In der Tat werden heute manchmal Kirchen unserer Nordelbischen Kirche aufgegeben. Und wir haben in unseren Gemeinden mit Kirchenaustritten zu kämpfen samt der nicht nur finanziellen Folgen. Die Lage der Religionen ändert sich. Aber es ist ein Trugschluss zu glauben, dass Religion einfach verschwinden würde. Wer mit offenen Augen durch unsere Städte geht, der sieht etwas ganz anderes. Bei uns im Stadtteil Friedrichsgabe gab es vor dem Zweiten Weltkrieg keine Kirche. 1954 wurde der evangelische Kirchsaal gebaut, 1969 kam die katholische Kirche dazu, vor zehn Jahren erst entstand eine neue Freikirche, in Planung ist eine weitere. Dann gibt es die Zeugen Jehovas und eine Moschee. So viel Religion wie heute gab es baulich noch nie in Friedrichsgabe. Auch im Norderstedter Raum insgesamt kenne ich Kapellen-Neubauten. Die vier Friedhofs-Kapellen reichen anscheinend nicht, zwei Bestattungsunternehmen haben sich selbst eigene Kapellen gebaut. In Krankhäusern werden Räume der Stille eingeweiht, vor wenigen Jahren wurde auch auf dem Hamburger Flughafen solch ein Raum der Öffentlichkeit übergeben. In unserem Rathaus entstand in den letzten Jahren ein Unbehagen an dem alten Standesamt, das neue könnte architektonisch auch eine Hauskapelle sein - es gibt richtige Kirchenbänke.

Religion verschwindet nicht, sie ändert sich. Die Kirche ist nicht mehr die einzige Institution, die Religion anbietet: Der Staat, Unternehmer, Vereine entwickeln eigene Angebote. Was sich hier entwickelt, ist noch unklar, sicher ist nur: Die Religion hört nicht einfach auf. Die Religionsgeschichte geht weiter. Gut hat es der, der weiß, was er glaubt und Stellung Beziehung kann.

Religion geht alle an, selbst diejenigen, die sie eigentlich ignorieren oder zur Privatsache erklären wollen.

Eckhard Wallmann ist Pastor an der Johanneskirche in Norderstedt