Die Staatsanwaltschaft Kiel stellt das Verfahren gegen einen 42-jährigen Vater aus Kayhude ein: Sein dreieinhalbjähriger Sohn starb im Trockner.

Kayhude/Kiel. Kann einem Vater etwas Schlimmeres passieren als das, was Martin B., 42, aus Kayhude widerfahren ist? Und sollte die Gesellschaft ihn für sein unachtsames Handeln zusätzlich bestrafen? Nein, urteilt jetzt die Staatsanwaltschaft in Kiel. Knapp sieben Monate nach dem Tod seines dreieinhalbjährigen Sohnes Franz B. in der Trommel eines Wäschetrockners in einer Doppelhaushälfte in Kayhude hat die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen gegen Martin B. eingestellt. "Der Vater leidet an den Folgen seines Handelns schon genug. Die Verhängung einer Strafe wäre offensichtlich verfehlt", sagt die Kieler Oberstaatsanwältin Birgit Heß.

Wie genau es an einem Freitagabend im Oktober 2011 zum Tod des kleinen Franz im Wäschetrockner kommen konnte, bleibt für die Öffentlichkeit wohl für immer unklar. Die genauen Details kennen nur die Ermittler der Kriminalpolizei. Martin B. soll an dem Abend allein mit Franz und dessen Zwillingsbruder Paul in der nach Augenzeugen-Berichten unaufgeräumten Doppelhaushälfte gewesen sein. Die Mutter Natascha B., 40, angeblich Apothekerin, war nicht im Haus. Was Martin B. gemacht hat, während die Zwillinge Paul und Franz im Hauswirtschaftsraum des Hauses spielten, ob der Frührentner vor dem Fernsehgerät saß, am Computer oder mit Hausarbeit beschäftigt war, darüber ist nichts bekannt. Jedoch schaute er aus Sicht der Staatsanwaltschaft etwa 30 Minuten lang weg, in denen die beiden kleinen Jungen den Wäschetrockner als Spielgerät entdeckten. 15 Minuten reichten laut Gutachten dafür aus, dass der kleine Franz im Trockner erstickte. Als Martin B. im Hauswirtschaftsraum nach dem Rechten sieht, findet er den kleinen Franz tot in der Trommel des Trockners. Seine Versuche, den Jungen wieder zu beleben, schlagen fehl. Wer die Rettungskräfte und die Polizei alarmiert, ist unbekannt. Als die Mutter Natascha später nach Hause kommt, erleidet sie einen Schock. Gemeinsam mit Martin B. wird sie zunächst von einem Kriseninterventionsteam betreut, später zur Behandlung ins psychiatrische Krankenhaus Rickling gefahren. Der Zwilling Paul kommt zunächst in die Obhut des Jugendamtes.

Oberstaatsanwältin Heß sagt, dass nach den umfangreichen Ermittlungen dem Vater Martin B. "mit hinreichender Wahrscheinlichkeit der Vorwurf eines Sorgfaltspflichtverstoßes aufgrund eines Unterlassens der gebotenen Beaufsichtigung des Kindes" zu machen ist. "Weil er das Kind über einen längeren Zeitraum unbeobachtet ließ, konnte es in die Trommel des Wäschetrockners klettern und dort - ohne dass die Umstände des Kerngeschehens im Einzelnen geklärt werden konnten - schließlich ersticken", sagt Heß.

Martin B. trägt also die Schuld am Tod seines Sohnes. Weil er zu lange nicht aufgepasst hat. Weil er seiner Verantwortung als Vater nicht gerecht wurde. Wahrscheinlich gibt es in Deutschland täglich Tausende von Situationen, in denen Eltern zu lange nicht hinschauen, was die Kleinen gerade machen. Das bleibt meistens und glücklicherweise folgenlos. Martin B. muss jetzt mit dem Schicksal leben, dass er und sein Sohn Franz B. ein Beispiel dafür sind, was Unachtsamkeit im schlimmsten Fall bedeuten kann. Was bringt da noch die strafrechtliche Verfolgung? Die Staatsanwaltschaft hat mit Zustimmung des Amtsgerichtes in Bad Segeberg das Verfahren wegen Verdachts der fahrlässigen Tötung eingestellt. Oberstaatsanwältin Heß: "Wir haben dafür den Paragraf 60 der Strafprozessordnung angewendet, der einen Verzicht auf Bestrafung vorsieht, wenn die Folgen der Tat für den Täter sehr schwerwiegend sind." Leichtfertigkeit könne dem 42-Jährigen nicht vorgeworfen werden, so Heß.

Für die Einwohner der 1100-Seelen-Gemeinde Kayhude war der Tod des kleinen Franz ein Schock. Am Tag nach dem Unfall legten Nachbarn und Bekannte Fotos, Kerzen und Spielzeuge vor die Tür der Familie B. Das ganze Dorf nahm Anteil am Schicksal der Familie. "Das war für alle im Dorf nur schwer zu verkraften", sagt Kayhudes Bürgermeister Bernhard Dwenger. Er weiß zu berichten, dass die Familie B. über das Unglück nicht hinweg gekommen und zerbrochen ist. "Ich glaube, die Mutter lebt mit Paul, dem kleinen Zwillings-Bruder des verstorbenen Franz, in Nahe bei Verwandten", sagt Dwenger. Wo Martin B. abgeblieben ist, kann er nicht sagen. Dwenger: "Keiner aus der Familie lebt mehr in Kayhude."