Bundesturniergericht nimmt Zweitliga-Schachspielern des SK Norderstedt in zweiter Instanz die Punkte vom Sieg in Oberschöneweide wieder weg

Norderstedt. Die Hiobsbotschaft erreichte den Vorsitzenden des Schachklubs Norderstedt als E-Mail. Rüdiger Schäfer öffnete die elektronische Nachricht des Bundesturniergerichts, las ungläubig den Text, einmal zweimal, dreimal, viermal. Und nach jeder Wiederholung stiegen Adrenalinspiegel, Pulsschlag und Verärgerung des 56-Jährigen weiter an.

Was war passiert? Das oberste juristische Gremium des Deutschen Schachbundes hatte den 5,5:2,5-Auswärtssieg von Zweitliga-Meister SKN bei Absteiger TSG Oberschöneweide in einen 8:0-Erfolg für die Gastgeber umgewertet und die Abschlusstabelle entsprechend korrigiert - dies alles zwei Wochen nach dem Saisonende.

Die Konsequenzen: Im aktuellen Ranking sind die Norderstedter mit 12 Mannschafts- und 38,5 Brettpunkten nur noch Vierter hinter Werder Bremen II (14/41,5), dem SC Neukloster (13/43) und dem Hamburger SK II (12/ 38,5); angesichts der neuen Sachlage ist der Aufstieg in die Bundesliga möglicherweise passé.

Die Vorgeschichte. Sonntag, 15. Januar, 8.17 Uhr: Die Mannschaft des SK Norderstedt steigt am Hamburger Hauptbahnhof in den ICE mit Ziel Berlin-Südkreuz. Von dort aus soll eine Regionalbahn das Team zum Zweitliga-Wettkampf bei der TSG Oberschöneweide bringen. Offizieller Spielbeginn ist um 11 Uhr, der Puffer für mögliche Verzögerungen erscheint ausreichend.

Eine längere Baustelle auf der Strecke wirft indes schon bald den Zeitplan über den Haufen. Da der Lokführer für die Fahrt im reparaturbedürftigen Abschnitt nicht ausgebildet ist, muss der High-Tech-Zug weiträumig umgeleitet werden und zuckelt mit halber Geschwindigkeit in die Bundeshauptstadt; die planmäßige Ankunft verzögert sich um 90 Minuten.

Die aufgeschreckten Norderstedter informieren Schiedsrichter Robert Radke umgehend per Mobiltelefon. Radke ist damit einverstanden, das Match aufgrund der außergewöhnlichen Umstände eine Stunde später als vorgesehen beginnen zu lassen.

Damit trifft der Berliner bei den Gastgebern aber nicht auf Gegenliebe. Nachdem der SKN um 11.59 Uhr im Spiellokal eingetroffen ist, gehen die Oberschöneweider zwar an die Bretter, legen aber Einspruch gegen die Entscheidung des Unparteiischen ein. Dieser Protest wird einige Wochen später von Bundesturnierdirektor Ralph Alt (München) abgeschmettert. Die TSG Oberschöneweide bleibt jedoch hartnäckig, geht in Berufung - und bekommt in zweiter und letzter Instanz vor dem Bundesturniergericht recht.

Rüdiger Schäfer: "Uns kräuseln sich angesichts dieses Beschlusses die Fußnägel. Damit ist nicht nur die Tatsachenentscheidung des Schiedsrichters vor Ort revidiert, sondern auch die geballte Regelkompetenz des Verbandes in den Wind geschlagen worden."

Ganz hoffnungslos ist die Situation für den SKN allerdings nicht. Unter Ziffer A-12.1 der 70 DIN-A-4-Seiten dicken Turnierordnung des Deutschen Schachbundes heißt es nämlich unter anderem: "Bezüglich Ereignissen, die sich am Spieltag abspielen und auf die Tabelle unmittelbar Einfluss nehmen, verkürzt sich die Protestfrist auf drei Tage." Und der Oberschöneweider Einspruch ist erst vier Tage später - und damit nicht fristgerecht - schriftlich beim Bundesturnierdirektor eingegangen.

In einem Schreiben an Herbert Bastian (Riegelberg), den Präsidenten des Deutschen Schachbundes, hat der Hamburger Rechtsanwalt Martin Fischer für den SK Norderstedt noch einmal ausdrücklich auf diesen Sachverhalt hingewiesen. Bastian: "Wir werden die ganze Angelegenheit noch einmal genau prüfen. Das Problem ist, dass die Befugnisse des Schiedsrichters bezüglich einer Verlegung des Spielbeginns nicht eindeutig geregelt sind, da gibt es eine Grauzone."

Persönlich in das Verfahren eingreifen wird der DSB-Chef indes nicht: "Selbst wenn ich es wollte, hätte ich laut unserer Satzung keine rechtliche Handhabe, um die Entscheidung des Bundesturniergerichts zu kassieren."

Rüdiger Schäfer wird seinerseits alle Möglichkeiten ausschöpfen, damit der SK Norderstedt in der kommenden Saison wie geplant in der Bundesliga spielen kann. "Wir sind ganz bestimmt nicht auf Krawall aus, fühlen uns aber über alle Maßen ungerecht behandelt. Sollte es keine gütliche Einigung mit dem Deutschen Schachbund geben, werden wir den Fall vor ein ordentliches Gericht bringen."