Harald Hensen gibt theoretischen Unterricht an der Yamaha-Musikschule in Norderstedt

Norderstedt. Der weißhaarige Herr sitzt da, wiegt leicht den Oberkörper und bewegt seinen Kopf im Takt hin und her. Gelegentlich zucken auch seine Schultern. Dann "greift" er zum Bass und schwingt den Bogen - angedeutet natürlich nur. Dazu summt er mit. "Slam Stewart", sagt er. "Das Mitsummen ist sein Markenzeichen." Die Zuhörer im Unterrichtsraum der Yamaha-Musikschule an der Ulzburger Straße nicken andächtig und lauschen weiter der Musik. Den Bassisten Slam Stewart kennen nur die Insider, die aber sitzen an diesem Abend nicht hier. Den Maestro an der Klarinette kennen alle, aber kaum jemand erkennt ihn in diesem Moment. Dabei ist es so einfach: Das Benny-Goodman-Sextett spielt hier "Shine". Harald Hensen stellt die alles entscheidende Frage an die Damen und Herren: "Um welche Stilrichtung handelt es sich dabei?" Swing - aber das kommt den Teilnehmern nicht so leicht über die Lippen. Die Meinungen bewegen sich zwischen Chicago Jazz und Be Bop. Gar nicht so einfach, als ungeübter Jazzhörer zwischen den Stilen zu unterscheiden. "Sie müssen auf die Merkmale achten", sagt Harald Hensen.

Das ist es eben - die Merkmale der einzelnen Stilrichtungen. Wo hört der Chicago Jazz auf, wann beginnt die Ära des Swing? Und: New Orleans Jazz ist eben kein Dixieland und auch kein Chicago Jazz. Das soll ein Laie erst einmal begreifen. Aber deshalb sitzen die Damen und Herren ja auch im Halbkreis um Harald Hensen herum. "Jazz for Beginners, von hot bis cool" heißt sein Kursus an der Yamaha-Musikschule in Norderstedt. Seit dem 24. Februar lauschen die Teilnehmer den Ausführungen des Oberstudienrats im Ruhestand - und vor allem den ausgewählten Musikstücken, die er ihnen mitgebracht hat und die er ihnen ganz genau erklärt. An zehn Abenden erfahren die Teilnehmer Wissenswertes über eine Musik, die nicht still steht und wahrscheinlich niemals still stehen wird: Von den Anfängen in New Orleans vor über 100 Jahren bis heute hat sich der Jazz immer weiter entwickelt und neue Richtungen eingeschlagen, von denen sich einige als Irrwege erwiesen haben, andere zu neuen Hauptverkehrsadern wurden.

Aber so weit dehnt Harald Hensen seine Jazzwelt nicht aus. Der 79 Jahre alte Norderstedter will sich und seine Zuhörer nicht überfordern. Der Be Bop mit seinem Unisono-Getute, der Cool Jazz und das Modern Jazz Quartett mit seinen Anklängen an die europäische Klassik mit Bach- und Mozarteinflüssen gelten bei ihm noch als vermittelbar. Was danach kommt - Schwamm drüber. Und das wollen die Teilnehmer des Jazzkurses lieber auch gar nicht so genau wissen. "Ich will hier meine Kenntnisse auffrischen", sagt Gretchen Bergmann, mit 85 Jahren die älteste Teilnehmerin des Kurses. Günther Bojanowski, 69, hat aus Liebe zum Jazz mitgemacht und dabei viel Neues erfahren. "Man wird immer klüger." Nu Jazz, M-Base, Smooth Jazz, Jazz Rap und was es noch so alles an Neuigkeiten gibt, müssen nicht unbedingt dabei sein. Vielleicht gelingt es erst in einigen Jahrzehnten, diese neuen Stilrichtungen in die Jazz-Historie einzuordnen - wenn diese Richtungen sich nicht als Sackgassen erwiesen haben. Immerhin bringt Hensen seinen Zuhörern aber auch den Trompeter Miles Davis nahe. Und das war ja einer, der dem Jazz während seiner Schaffensperiode häufiger Schwungkraft in neue Richtungen gab.

Für Karin Possekel, 77, zählt das, was Harald Hensen ihr erzählt. Und das ist eine ganze Menge . An diesem letzten Abend bringt ihr der alte Lehrer Schallplatten aus seinem Fundus mit, die die Zeit überdauert haben. Frank Sinatra mit alten Swing-Aufnahmen ist dabei, Chris Barber, Glen Gray und das Casa Loma Orchestra, Benny Goodman. Sie ist von ihrem Sohn manchmal verspottet worden, weil sie vom Jazz so gar keine Ahnung hatte. Jetzt weiß sie mehr, obwohl sie freimütig zugibt, dass es ihr nicht immer gelingt, die verschiedenen Stile auseinanderzuhalten. Aber darauf kommt es ihr auch gar nicht an. "Die Freude an der Musik ist mir wichtiger", sagt Karin Possekel, die ihre geliehenen Platten freudestrahlend einpackt.

An diesem letzten Abend greift Harald Hensen ganz tief in seine Musikkiste und testet das Wissen der Zuhörer. "Das sind meine kleinen Gemeinheiten", kommentiert er seine Stilproben, in die er auch eine wirkliche "Gemeinheit" einbaut: Etwas Cool Jazz vom Harald-Hensen-Quartet - darauf soll erst mal jemand kommen. Den Jazzstil erkennen einige der Teilnehmer, ihren Jazzlehrer am Piano natürlich nicht. Harald Hensen schmunzelt in sich hinein. Glen Miller und sein Orchester wird eindeutig dem Swing zugeordnet. Das Lied "Carioca" spielt er modern vom Gerry-Mulligan-Quartet vor, als Swingtitel von Artie Shaw und seinen Orchester. Als "Rausschmeißer" schließlich das fulminante Schlagzeugsolo von Louis Bellson über "Skin Deep" mit dem Ellington-Orchestra.

Dieser Abend setzt bei den Zuhörern Energien frei: Fast alle wollen auch den nächsten Kursus besuchen, den Harald Hensen im September bei der Yamaha-Musikschule startet. "Bleiben sie bloß gesund", ruft ihm eine Teilnehmerin zu. Der Angesprochene winkt lächelnd zurück. "Ich tu, was ich kann." Er weiß, dass seine Musikkurse längst auch eine soziale Komponente haben: Manche Teilnehmer des Jazz- und Klassikunterrichts treffen sich regelmäßig einmal in der Woche, um gemeinsam bei Kaffee und Kuchen Musik zu hören.