Die Kinder hätten ja heute gar keine Ahnung mehr von den Giftpflanzen. Und erschreckend sei es, dass auch die Generation 30-Plus keinen blassen Schimmer habe, vor welchen Gewächsen sie sich besser in Acht nehmen sollte. "Biologie-Unterricht ist heute ja nur noch Sexualkunde. Was die da heute machen, haben wir früher mit der Taschenlampe auch so hin bekommen", sagt Ehmer Schümann. Der Mann ist 68 Jahre alt, Gärtnermeister im Ruhestand, offenbar bestens aufgeklärt, nicht nur in Liebesdingen. Er weiß auch genau, mit welchem Kraut man sich ins Jenseits befördern kann.

Schümann sitzt mit seiner Kollegin Ulrika Rodowski und dem Apotheker Horst Prüssing im Hexenkessel. So heißt der Gift- und Heilpflanzengarten des Apothekerverbandes auf der Landesgartenschau. Der mit Birkenfaschinen eingefasste Garten, mit seinen kreisrunden Böschungen, der gemütlichen grünen Laube und der mit einer runden Sitzbank eingefassten Kastanie im Zentrum, ist der vielleicht hübscheste Garten im Feldpark. Auf jeden Fall aber der tödlichste.

In den Beeten versammeln sich die giftigsten Pflanzen, die die Flora in unseren Breiten zu bieten hat. Harmlos erscheinende Killer, heimtückische Körperverletzer und zierliche Meuchler. Der gefleckte Schierling etwa. Was für ein gemeines Gewächs. Gibt sich wie eine wilde Möhre mit seinen Blättern. "Aber grabbel' da bloß nicht drin rum", sagt Ehmer Schümann. Das Gift Coniin lauert in den Blättern, dringt von dort sogar durch unverletzte Haut in den Körper. Wer 0,5 bis ein Gramm davon abbekommt, muss sich erbrechen, schließlich wird er gelähmt, kann nicht mehr atmen und erstickt bei vollem Bewusstsein. Bei Tieren wirkt es wie Contergan und sorgt für missgebildete Jungtiere. Horror.

Gleich daneben: Die Tollkirsche. Kleine Kinder essen zwei Beeren und gehen hops, Erwachsene müssen schon 15 Stück essen, um sich eine tödliche Dosis Atropin zu verpassen. In der hübschen Engelstrompete wüten die Gifte Hyoscyamin und Scopolamin. Schon der Duft der Blüte kann berauschen. "Und Junkies drehen sich da gerne mal einen Joint draus. Muss aber ein ordentlicher Pfahl sein, damit das funktioniert", sagt Ehmer Schümann. Auch die Eibe steht im "Hexenkessel", die gerade in Tangstedt bewiesen hat, dass das Gift in ihren Nadeln, das Taxin, ausgewachsene Pferde töten kann, in Tangstedt gleich sechs Stück, weil ein unachtsamer Bauer gehäckselte Eibe ins Futter mischte. "16 bis 17 Nadeln klein gehackt in den Quark - und das war's dann", sagt Ehmer Schümann. Apotheker Horst Prüssing beeilt sich anzumerken, dass im "Hexenkessel" grundsätzlich solche Anleitungen nicht gegeben werden. Das Gärtchen soll nicht zum Treffpunkt für die Selbst- und Schwiegermuttermörder werden.

Der Garten ist als einziger der ganzen Gartenschau mit Toren gesichert. "Und wir machen hier alles, um die Leute über die Pflanzen aufzuklären. Wenn dann trotzdem noch einer sich Quaddeln am Arm holt, dann ist das ein ED-Schaden", sagt Schümann. ED steht für Eigene Dusseligkeit.

Genau davon erzählen die Menschen, die in den Garten kommen. Zum Beispiel diese Schote über den Roten Fingerhut. Ulrike Rodowski: "Mutter schickt Vatter in den Garten: Hol mal Borretsch für den Salat. Später beim Essen bekommt einer der Gäste übelste Herzbeschwerden." Der Mann hatte das falsche Beet erwischt und statt Borretsch die ähnlichen Blätter des Roten Fingerhutes geschnibbelt. Glücklicherweise nicht zu viele: Denn zwei reichen für den Tod eines Menschen aus.

Rodowski weiß aber auch von einer Frau zu erzählen, die Wolfsmilch wegriss, sich die Hände wusch und dann über das Gesicht wischte, worauf es total anschwoll. Von einem Jungen, der sich an geschnittenem Essigbaum starke Verbrennungen holte. Einem Hund, der fast an Blauem Eisenhut verendete und von der Petersilie, mit der früher Frauen abtrieben - und die Überdosis nicht überlebten.

Aber auch Experten wie Ehmer Schümann lernen immer noch dazu. Schümann: "Ich hab mal mit freiem Oberkörper einen Kübel Diptam beiseite geschoben. Zwei Tage später hatte ich die übelsten Verbrennungen am ganzen Oberkörper."