Die Quelle auf dem Riesengebirgsplateau in 1386 Meter Höhe ist ein Wallfahrtsort. Der Strom entsteht als Rinnsal aus einem Brunnen.

Spindlermühle. Welch erhabenes Gefühl! Nicht nur wegen der Aussicht in 1386 Metern Höhe auf dem Riesengebirgsplateau inklusive Blick auf die Schneekoppe, sondern vielmehr wegen des Standorts - mit dem linken Bein auf der einen, mit dem rechten auf der anderen Elbseite. Ufer-Spagat. Ein uriges Gefühl, wenn man an die Dimension des Stroms in Hamburg oder gar bei Cuxhaven denkt. An der Quelle jedoch ist dieses Kunststück ein Kinderspiel.

Schwerer schon ist es, das richtige Rinnsal zu wählen. Weil es, auch das verblüfft, die eine richtige Quelle gar nicht gibt: Überall auf der moorigen Hochebene zwischen den Bergen Reifträger und Hohes Rad im Nordosten Tschechiens matscht, gluckst und plätschert es. Von der Hochgebirgsalm Siebengründe sickern diverse Quellbächlein in der Senke zusammen; heute hier, morgen dort, mal mehr, mal weniger, manchmal gar nicht, teilweise unterirdisch.

Das Ziel ist erreicht. 14 Tage am Strom entlang, insgesamt 1700 Kilometer mit Bahn, Bus, Fähre, Taxi. 46-mal Umsteigen, ein Dutzend Hotels, noch mehr tolle Erlebnisse, fast ausnahmslos mit interessanten, herzlichen Menschen. Man kam sich näher, die Elbe sei Dank. Überall stand Hamburg hoch im Kurs.

Und nun das Finale - am Ursprung. Um klare Verhältnisse zu schaffen, wurde vor rund zwei Jahrhunderten inmitten des Moors eine symbolische Quelle errichtet. Der von eingelassenen Felsbrocken umgebene Steinbrunnen dient den Tschechen als Nationalheiligtum - jährlich pilgern Hunderttausende dorthin. "Pramen Labe" steht auf einer Holztafel. "Elbquelle". Manche hinterlassen Kronen oder Cent im künstlichen Wasserloch. Kleine Gaben sollen Glück bringen, das hat Tradition in Rübezahls Reich.

Das Panorama an der Grenze zwischen Tschechien und Polen ist unbezahlbar. Kilometerweit schweift der Blick oberhalb der Baumgrenze in die Ferne. Bergkuppen sind zu sehen, weiter unten Latschenkiefern, Vogelbeersträucher, Wäldchen, Holzhütten, Bauden genannt. Auf den Wiesen blüht Schwalbenenzian. Ein Paradies, trotz Borkenkäferplage und schwefeliger Industrieabgase. Doch plötzlich hüpft das hanseatische Herz wahrhaftig: In eine Steinmauer ist das Hamburg-Wappen eingelassen, aus weißen und roten Mosaiksteinchen. Ihm zur Seite sind seit 40 Jahren weitere Elbstädte verewigt: von Cuxhaven bis Spindlermühle, fünf Kilometer bergab im Tal gelegen. Im Wintersportort, der bis zur Wende als "Kitzbühel des Ostens" galt, versammelten sich einst Bürger bei einem Müller namens Spindler, um ein Bittgesuch an Franz II. zu verfassen.

"Elbe und Kirche standen von jeher in enger Verbindung", sagt Reiseleiter Josef Zelený (62), eine Seele von Mensch und ein zweibeiniges Lexikon obendrein. Er hat den stundenlangen Anmarsch geführt, Hintergründe erzählt. Aus Rücksicht auf die schmerzenden Glieder seines Wanderkompagnons nimmt Zelený auf einer Holzbank Platz, kramt ein Notizbuch aus seinem Rucksack. Die Kladde ist gespickt mit Wissenswertem.

"Dass sie offiziell hier sprudelt, ist Hans von Tallenberge zu verdanken", sagt er. Mit Segen aus Rom habe der Bischof von Königgrätz die Elbquelle bei Spindlermühle 1684 geweiht und so zum Wallfahrtsort gemacht. Zwar verschied das für den Altartransport organisierte Kamel unterwegs, doch war ein adeliger Rivale von der Schneekoppe ausgebremst. Dort entspringt die wasserreichere "Weiße Elbe". Bei Spindlermühle fließt sie in die Elbe - dem Bischof sei's gedankt nur als Nebenfluss. Sonst wäre der Strom ein paar Kilometer länger - und Hamburg läge an der "Weißen Elbe" ...

Mit einem leicht wehmütigen Blick auf Rinnsal und Wappen wird der Rückweg angetreten. Binnen weniger Kilometer entwickelt sich das mickrige Rinnsal zum kräftigen Bach. Über die Karwand stürzt er in zahlreichen Kaskaden 45 Meter talwärts. In Maßen zumindest; denn spektakuläre Fotos des Wasserfalls stammen aus Zeiten der Schneeschmelze oder starker Regenfälle im Frühsommer. Die Stausperre stammt von 1912, um das Hochwasser zu entschärfen.

"Auf den ersten 20 Kilometern flussabwärts verliert die Elbe 920 Meter an Höhe", erklärt Josef bei einer Brotzeit vor einer Holzhütte. Man spricht Deutsch. Sächsisch. Nach kurzem Atemholen geht's weiter. Bis zur Nordsee sind es knapp 1090 Kilometer. Josef weiß das so genau, weil er die Strecke 2002 mit dem Fahrrad schaffte - binnen acht Tagen. Unten in Spindlermühle ist die Elbe breiter, aber kaum mehr als 20 Zentimeter hoch. Das Gefühl dieser direkten Wasserverbindung bis an die Küste fasziniert. Was wäre, wenn man jetzt ein Papierschiffchen gen Hamburg treiben ließe? Wann würde sie zu Hause ankommen?

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