Der 28-jährige Andreas Gronau fertigt Rennjollen nach alten Plänen und mit neuester Technik. Ein Stall bei Hohwacht ist seine Werkstatt

Neudorf. Eingebettet in sanft geschwungene Hügel, zwischen Wiesen, Kornfeldern und Wäldern liegt Gut Neudorf. Das Gehöft aus dem 18. Jahrhundert sieht aus wie aus dem Bilderbuch, mit Schloss, Gesindehäusern aus Fachwerk, Stallungen, Speicher und ehemaligen Werkstätten. Unter den rot gedeckten Dächern nisten Schwalben, auf einer Wiese weiden Pferde.

Vor dem alten Kuhstall steht ein Boot, ein schwarz und rot gestrichener Kutter, knapp sechs Meter lang. Das große Tor steht offen, ein Isländischer Collie döst in der Sonne. Im Halbdunkel des Stalls sind noch mehr Boote zu erkennen. Ein junger Mann kommt angeschlendert, in Zimmermannshose und mit Rastazöpfen. "Moin", sagt er und grinst. "Ich bin hier der Bootsbaumeister." Der Mann heißt Andreas Gronau, er ist 28 Jahre alt. Seit neun Jahren betreibt er die "Bootswerft für Klassische Rennjollen", seit fünf Jahren auf Gut Neudorf zwischen Lütjenburg und Hohwacht. Auf dem Boden des Kuhstalls liegen Sägespäne, auf den Hobelbänken Nietsetzer und Gegenhalter, lange japanische Zugsägen und Strakbretter zum Schleifen. Holzboote sind Gronaus Leidenschaft. Als einziger Bootsbauer in Deutschland fertigt er elegante Rennjollen nach Plänen aus den 20er- und 30er-Jahren auf dem neusten Stand der Technik.

Sein Meisterstück etwa ist eine 15-Quadratmeter-M-Jolle aus Khaja-Mahagoni und Burma-Teak, formverleimt. Bei dieser Methode werden mehrere Holzschichten unter hohem Druck verbunden. Vier Monate lang hat er die Jolle mit Sorgfalt und viel Liebe zum Detail aufgelegt. "Mit der modernen Technik sind diese Boote heute viel stabiler und langlebiger als damals", sagt Gronau und streicht über den schnittigen, auf Hochglanz polierten Rumpf. Solche Rennjollen sind ungeheuer schnelle Boote, wie Formel 1 auf dem Wasser. Doch weil die Originale Wind und Wellen nicht lange standhielten, gibt es sie kaum noch. Gronau lässt die Klassiker wieder aufleben. Drei dieser bis zu 30 000 Euro teuren Hochkaräter hat er bisher gebaut, ein vierter ist in Arbeit.

Peter-Hinrich Böbs ist total begeistert von der Jolle. Der Kapitän aus dem niedersächsischen Harsefeld hat mit seiner Frau gerade den Kaufvertrag für Gronaus Meisterstück unterschrieben. "Wir erfüllen uns damit einen Traum", sagt Frauke Böbs. Ihre Kinder Aaron, 11, und Paula, 5, klettern vorsichtig in die aufgebockte Jolle. "Das muss schön sein, damit auf dem Wasser zu fahren", sagen sie freudestrahlend.

Die Leidenschaft des gebürtigen Berliners Gronau für Holzboote wurde von seinem Vater geweckt. Der Klavierbauer und Flügelrestaurator besaß einen alten Jollenkreuzer, mit dem sie auf dem Plauer See oder um Rügen unterwegs waren. Schon früh war Andreas klar, dass er Bootsbauer werden will. Im Alter von 15 Jahren zog er nach Kiel und begann seine Ausbildung. "230 Mark verdiente ich damals", sagt Gronau. Für eine Wohnung reichte es nicht, also lieh er sich von Bekannten einen Zirkuswagen, grün und weiß angemalt mit roten Fenstern. Den stellte er bei einem Bauern auf die Wiese und wohnte die nächsten drei Jahre darin.

Nach der Lehre zog er quer durch Europa, arbeitete auf verschiedenen Werften, immer auf der Suche nach alten Bootstypen und Handwerksmethoden. 2002 machte er sich mit einem Bootsbauer aus Hohwacht auf Gut Neudorf selbstständig. Im selben Jahr erhielt er seinen ersten Auftrag: die Restaurierung einer alten 20-Quadratmeter-Rennjolle. Mittlerweile wurde auch manche Rennjolle, die auf der Hamburger Außenalster fährt, von Andreas Gronau restauriert. Heute beschäftigt er eine Gesellin und zwei Lehrlinge. Mit ihnen teilt er die Leidenschaft für Holzboote. Das Baumaterial findet er bei Händlern in ganz Norddeutschland, für besondere Teile wie Spanten und Steven geht er in den Wald, sucht bei Eichen und Eschen den richtigen Baum.

Die kleine Werft auf dem historischen Gut hat sich spezialisiert auf Neubauten und Restaurierungen. Neben Rennjollen baut Gronau Segelkutter nach Plänen, die er aus Irland mitgebracht hat. Zwei davon fahren in Norddeutschland, auf der Schlei und auf dem Selenter See. Ein dritter ist auf dem Halterner See nahe Recklinghausen. Außerdem baut er portugiesische Fischerdorys, Kanus und Ruderboote. Mit seinem neuen Partner, einem Experten für Motoren und Bordsystem, bietet er nun auch Motorboote nach historischen Vorbildern an. Zwei amerikanische Motorskiffs hat er in der Vergangenheit schon angefertigt.

Derzeit laufen auf der Werft zwei Restaurierungsprojekte. Das eine ist ein schwedischer Spitzgatter, sechs Meter lang mit Kajüte und Einbaumotor. Das 70 Jahre alte Boot besteht derzeit nur noch aus dem nackten Rumpf, jedes Teil wird komplett von Farbe befreit, schadhafte Hölzer werden ersetzt, die Aufbauten überholt. Das zweite Projekt ist die Restaurierung von drei original Zehn-Quadratmeter-N-Rennjollen, die zwischen 1928 und 1936 gebaut wurden. Eine davon stammt aus einer Kneipe in der Nähe von Wien, wo sie Jahrzehnte als Dekoration unter der Decke hing. Nach ihrer Restaurierung geht eine der Jollen auf Ausstellungsreise, etwa zur Klassenmeisterschaft am österreichischen Wörthersee.

Allmählich platzt die Werft im Stall auf Gut Neudorf aus allen Nähten. Fünf Boote liegen darin, der Spitzgatter, die alte Rennjolle, das Meisterstück, ein Kutter-Neubau und noch ein Rennjollen-Neubau. Es ist eng. Gronau hat deshalb eine Halle in Lütjenburg gemietet als Winterlager und zweite Werkstatt. Sie ist zwar nicht so charmant wie der alte Stall, aber eben zweckmäßig. Den Stall aber will er nicht aufgeben. Manchmal halten Weltumsegler dort Vorträge, im Herbst bietet Gronau Bootsbauseminare an. "Die sind immer gut besucht", sagt er. "Denn was gibt es Schöneres als ein Holzboot?"

Informationen unter www.segelbootsbau.de