Eltern und Lehrer in Wentorf waren sich einig, Gemeinde widersetzte sich

Wentorf. Im Schulstreit um das Turbo-Abitur nach acht Jahren (G8) oder die Reifeprüfung wie früher üblich nach neun Jahren (G9) hat Schleswig-Holsteins Schulminister Ekkehard Klug (FDP) einen Kampf verloren. Die Gemeinde Wentorf bei Hamburg wehrte sich vor Gericht erfolgreich gegen die Umwandlung des örtlichen Gymnasiums in eine G9-Schule. Die gut 150 neuen Fünftklässler werden nach den Sommerferien nun gegen den Willen von Eltern, Schulleitung und Kieler Ministerium in G8-Klassen unterrichtet.

"Ich bedauere sehr, dass in Wentorf die vielen Wünsche nach G9 zunächst nicht erfüllt werden können", sagte Minister Klug dem Abendblatt. Nicht minder enttäuscht ist der Leiter des Wentorfer Gymnasiums, Hans-Joachim Mayer. "Wir müssen mit G8 etwas machen, was wir eigentlich nicht wollen." Beim Turbo-Abi müssten die Schüler den Stoff in acht statt neun Jahren lernen, säßen oft auch nachmittags in der Schule und hätten so weniger Zeit für Hobbys. In Wentorf habe man deshalb alles getan, um aus dem 2008 landesweit eingeführten Turbo-Abi wieder auszusteigen.

Diese Möglichkeit eröffnet das neue Schulgesetz, das die schwarz-gelbe Koalition Anfang des Jahres im Landtag durchsetzte. Mayer fackelte nicht lange. Die Gremien der Schule sprachen sich dafür aus, dass die künftigen Fünftklässler mit dem ein Jahr längeren Weg zum Abi starten und zudem die 182 künftigen Sechstklässler vom bisherigen G8 zu G9 wechseln. Eine solche Wechselaktion ist nach dem Schulgesetz zulässig, zumal dann, wenn die Eltern der Schüler mitziehen. In Wentorf unterschrieben alle. Die Freude im Gymnasium währte allerdings nur kurz, weil das Schulgesetz die Rückkehr zu G9 an eine Bedingung knüpft. Der Schulträger, in diesem Fall Wentorf, muss zustimmen, weil Kreise, Städte oder Gemeinden mögliche Mehrkosten für das Langsam-Abi zu tragen haben. Diese Einschränkung hatte die CDU in das Gesetz eingebaut, um den von der FDP erhofften Siegeszug von G9 abzubremsen.

In Wentorf ging die Rechnung auf. Die Gemeindevertretung, in der CDU und eine Wählergemeinschaft 16 von 30 Mandaten haben, beharrte auf G8. "Für uns ist das eine Frage des Geldes", sagte Wentorfs CDU-Fraktionschef Harro Vogt. Das beliebte Gymnasium, an dem 1250 Kinder büffeln, würde als G9-Schule noch mehr Schüler aus der ganzen Region anlocken. "Schon jetzt kommt mehr als die Hälfte der Schüler nicht aus Wentorf." Für zusätzliche Schüler aus dem Umland müsste Wentorf mehr Klassenräume bauen. "Das kostet uns mehr als drei Millionen Euro extra." Für die Gemeinde mit gut 11 000 Einwohnern und einem Jahresetat von etwa 20 Millionen Euro sei das nicht zu stemmen, weil die Wohnortgemeinden der auswärtigen Schüler über die Schulkostenbeiträge nur einen Teil der Investitionen erstatten würden. Vogt räumt zugleich ein, dass er auch politisch für das Turbo-Abi ist. Im europäischen Vergleich seien die deutschen G9-Abiturienten schlicht zu alt. Rückendeckung im Kampf gegen G9 bekam die Gemeindevertretung von der Justiz. Vor Kurzem kassierte das Schleswiger Oberverwaltungsgericht wie zuvor schon das Verwaltungsgericht die Anordnung des Schulministers, das Wentorfer Gymnasium in diesem Sommer in eine G9-Schule umzuwandeln.

Geschlagen gibt sich Klug nicht. Er will nach den Niederlagen im Eilverfahren nun im Hauptsacheverfahren die Gemeinde auf G9-Kurs bringen. Das Verfahren könnte sich über mehrere Instanzen und viele Monate hinziehen. Im Erfolgsfall könnte Wentorf das G9-Abi frühestens 2012 einführen.

Der Streit um G8 und G9 wird möglicherweise vorher geklärt. Im Mai 2012 wählt Schleswig-Holstein einen neuen Landtag, und selbst CDU-Mann Vogt ist sich nicht sicher, dass es für Schwarz-Gelb wieder reicht. Bei einer anderen Mehrheit kommt auch das umstrittene Schulgesetz auf den Prüfstand. "Dann geht die ganze Huddelei wieder von vorn los", stöhnte Vogt. Minister Klug zog derweil eine positive Bilanz. Von den 100 Gymnasien hätten 15 ganz oder teils auf G9 umgesattelt, das zwar nicht konfliktfrei, aber mit deutlich weniger Widerstand als in Wentorf.