Bei der Kollision eines russischen Holzfrachters und eines britischen Containerschiffs stürzt ein Steuerhaus ins Wasser

Hamburg/Kiel. Als sich der dichte Frühnebel über dem Nord-Ostsee-Kanal endlich aufgelöst hat und den Blick auf die Grünentaler Hochbrücke bei Beldorf im Kreis Rendsburg-Eckernförde wieder freigibt, wird das gesamte Ausmaß der Zerstörung sichtbar. Die komplette Brücke des russischen Holzfrachters ist verschwunden. Stattdessen erstreckt sich über die gesamte Backbordseite ein Trümmerfeld. Nautische Gerätschaften und die Instrumente zum Steuern und Führen des 116 Meter langen und 13 Meter breiten Schiffes liegen lose herum, wo vormals die Brücke war, und müssen von der Feuerwehr mit Spanngurten gesichert werden. Es ist das schwerste Schiffsunglück auf dem Nord-Ostsee-Kanal seit vielen Jahren: Zwei Seeleute sterben, drei werden teils schwer verletzt.

Am Morgen kurz nach 7 Uhr war der 22 Jahre alte Holzfrachter "Tyumen-2", der aus Kiel kommend in Richtung Brunsbüttel unterwegs war, mit dem unter britischer Flagge fahrenden Containerschiff "OOCL Finland" in einer längeren Kurve kollidiert. Wie und warum es zu diesem Unfall kam, ermitteln die Wasserschutzpolizei in Brunsbüttel und die Bundesstelle für Seeunfalluntersuchung in Hamburg.

Eine offizielle Stellungnahme gibt es noch nicht. Dennoch zeichnet sich folgendes Bild ab: Im dichten Nebel, der nur Sichtweiten bis zu 70 Metern zulässt, fährt das Containerschiff auf den entgegenkommenden Frachter zu. Das Containerschiff ist mit 149 Metern nur 33 Meter länger, doch sein Bug überragt die schmalen Seitenwände des Holzfrachters um einige Meter.

Dies wird dem russischen Schiff zum Verhängnis. Zunächst fahren beide Schiffe knapp aneinander vorbei. Dann trifft der Bug des britischen Motorschiffes auf die Aufbauten der "Tyumen-2", knallt gegen die 13 Meter breite Brücke und reißt sie ab. Das Ruderhaus schlägt zunächst gegen das Vorschiff der "OOCL Finland" fällt dann ins Wasser des Kanals. Vier Seeleute sind zu diesem Zeitpunkt im Ruderhaus.

Nach Angaben des Wasser- und Schifffahrtsamtes Brunsbüttel wird der aus Norddeutschland stammende Kanalsteuerer - ein Steuermann, der auf das Fahren im Kanal spezialisiert ist - mitgerissen. Er schlägt gegen das Containerschiff, wird tödlich verletzt. Sein deutscher Kollege, der Kanallotse, fällt auf das Deck des russischen Frachters und stirbt ebenfalls. Der Kapitän der "Tyumen-2" und ein Crewmitglied werden schwer, ein anderer russischer Seemann leicht verletzt. Sie kommen mit Rettungshubschraubern ins Krankenhaus nach Heide.

Durch die Wucht des Aufpralls bricht der russische Frachter nach links aus und rammt mit seinem Bug die Kanalböschung. Schlepper ziehen ihn später wieder frei und bringen ihn zur Ausweichstelle Fischerhütte. Fachleute der Klassifikationsgesellschaft, dem Schiffs-TÜV, treffen gegen 17 Uhr am Unfallort ein. Sie sollen prüfen, ob der Holzfrachter stabil genug ist, um ihn nach Brunsbüttel zu schleppen, wo er untersucht werden soll, sagte Ulrike Windhövel, Sprecherin des gemeinsamen Havariekommandos von Bund und Küstenländern, das den Einsatz leitete und die Spezialeinheiten der Feuerwehren aus Brunsbüttel, Kiel, Lübeck und Hamburg koordinierte.

"Das komplette Steuerhaus ist weg", sagte Thomas Fischer vom Wasser- und Schifffahrtsamt. "Das ist schon extrem tragisch und selten."

Die "OOCL Finland" kann ihren Weg leicht beschädigt nach Rendsburg fortsetzen, wo sie ebenfalls untersucht werden soll. Der Fundort der Brücke der "Tyumen-2", die ein Peilschiff im Kanal ortet, wird am Nachmittag mit einer Signalboje gekennzeichnet und soll in den nächsten Tagen gehoben werden. Entgegen anders lautenden Meldungen tritt bei dem Unfall nur wenig Hydrauliköl aus, gibt Sprecherin Windhövel bekannt. Der Schiffsverkehr auf der meistbefahrenen künstlichen Wasserstraße der Welt, die nach dem Unglück voll gesperrt wird, kann gegen 17 Uhr wieder freigegeben werden.

Allein im vergangenen Jahr waren fast 32 000 Schiffe in dem 99 Kilometer langen und 1895 eröffneten Kanal unterwegs - Sportboote und sonstige Kleinfahrzeuge nicht mitgerechnet. Im Vergleich dazu kommt es relativ selten zu Zwischenfällen.

Zuletzt starb ein Mann 2002, als sich ein dänischer Frachter querlegte und mit einem Schubverband kollidierte. Sieben Crewmitglieder und der Lotse konnten sich mit einem Sprung ins Wasser retten.