Niedersachsen möchte Kapazitäten übernehmen. Kiels Finanzminister Rainer Wiegard ist dafür und löst damit großen Unmut aus - auch in den eigenen Reihen.

Kiel. Niedersachsen möchte bis zu 5000 Studienplätze aus Schleswig-Holstein übernehmen und hat damit einen handfesten Krach in der Kieler Regierung ausgelöst. Finanzminister Rainer Wiegard (CDU) will die teuren Studienplätze loswerden, Wissenschaftsminister Jost de Jager (CDU) möchte sie um fast jeden Preis behalten. Schützenhilfe bekam er von der FDP. Am nächsten Montag tagt der schwarz-gelbe Koalitionsausschuss, um eine Regierungskrise in Kiel abzuwenden.

Der Streit um die Studienplätze ist hausgemacht, geht auf eine Empfehlung der schwarz-gelben Sparkommission in Kiel zurück. Sie hatte im Mai empfohlen, den "Hochschulpakt 2" von Bund und Ländern nicht in Gänze umzusetzen. Nach dem Pakt soll Schleswig-Holstein in den nächsten acht Jahren (2011 bis 2018) 9687 neue Studienplätze einrichten. Die Kosten, 192 Millionen Euro, sollen sich Land und Bund teilen. Der Haken: Schleswig-Holstein fällt es trotz der guten Konditionen der Hochschuloffensive schwer, den Landesanteil von 96 Millionen Euro aufzubringen.

Der Vorschlag, die Zusatz-Studienplätze anderen Bundesländern anzudienen, stieß in Hannover auf fruchtbaren Boden. "Wir haben großes Interesse, unsere Hochschulen auszubauen", sagte Niedersachsens Wissenschaftsministerin Johanna Wanka (CDU) gestern am Rande einer Konferenz in Kiel. Im nächsten Jahr gebe es in Niedersachsen einen doppelten Abi-Jahrgang, zudem absehbar mehr Studienbewerber durch die Aussetzung der Wehrpflicht. Hannover habe Kiel deshalb ein "freundliches Angebot" unterbreitet. "Niedersachsen ist kein feindliches Ausland." Klar ist, dass Niedersachsen ein Schnäppchen winkt. Es könnte seine Hochschulen dank Bundeshilfe zum halben Preis weiter ausbauen.

Kiels Finanzminister Rainer Wiegard (CDU) kann mit der Offerte aus Hannover gut leben. Übernimmt Niedersachsen die Hälfte der knapp 10 000 Zusatz-Studienplätze, müsste Schleswig-Holstein bis 2018 etwa 46 Millionen Euro weniger ausgeben. De Jager rechnet anders. Er weiß um die Überlastung der Hochschulen in Schleswig-Holstein und den nahenden doppelten Abi-Jahrgang 2016. Hinzu kommt die Sorge, dass Schleswig-Holstein sich bei einem Export von Studienplätzen als Wissenschaftsland bundesweit lächerlich macht.

Bei seinen Parteifreunden im Kabinett hat de Jager einen schweren Stand. Innenminister Klaus Schlie (CDU) hält eher zu Wiegard, Ministerpräsident Peter Harry Carstensen (CDU) wohl ebenso. Der Streit wird damit auch zu einer Machtprobe, zumal de Jager im Landeshaus Größeres zugetraut wird. Der junge Minister gilt als möglicher CDU-Spitzenkandidat, falls der schwächelnde Partei- und Fraktionschef Christian von Boetticher das Handtuch wirft.

Rückendeckung bekam de Jager im Kampf für mehr Studienplätze aus der Wirtschaft. Der Unternehmensverband (UV) Nord sowie die Industrie- und Handelskammern warnten eindringlich vor dem Hochschuldeal. "Schleswig-Holstein kommt schon heute seinen Verpflichtungen für die Hochschulausbildung junger Menschen nicht in ausreichendem Umfang nach", so der UV Nord. Nur für 60 Prozent der Abiturienten gebe es einen Studienplatz im Land. Befürchtet wird ein weiterer Aderlass. "Wenn Studierende erst einmal das Land verlassen haben, kommen sie in den seltensten Fällen zurück." Ein Studienplatz-Export beschneide die wirtschaftlichen Entwicklungspotenziale des Landes.

Auf der Seite de Jagers steht auch die Opposition im Landtag und neuerdings die mitregierende FDP. Fraktionschef Wolfgang Kubicki machte gestern klar, dass die FDP-Minister im Kabinett einem Export von Studienplätzen nicht zustimmen würden. Kubicki war einst Mitglied der Sparkommission, die eine Abgabe von Studienplätzen vorgeschlagen hatte. Der Vorschlag war vom Kabinett und damit auch von den FDP-Ministern gebilligt worden.

Hamburg schaut dem turbulenten Studienplatzstreit in Schleswig-Holstein bisher gelassen zu, ist aber ebenfalls berührt. "Eine Abgabe von Studienplätzen aus Schleswig-Holstein nach Niedersachsen würde die Nachfrage in Hamburg vielleicht etwas steigern", sagte Wissenschaftsstaatsrat Bernd Reinert (CDU) dem Abendblatt. Dramatische Auswirkungen seien angesichts des anhaltenden Bewerberbooms aber nicht zu erwarten. "Der Druck auf Hamburg steigt so oder so."