Nina, 14, und Tobias, 13, aus Bodenfelde wurden möglicherweise Opfer eines Sexualmordes. Die Tätersuche läuft auf Hochtouren.

Bodenfelde. Manuela Schönbach ist eine couragierte Frau. Als sie auf der Dorfstraße einen fremden Mann bei Nieselregen im Gespräch mit zwei halbwüchsigen Jungen sieht, bremst sie, fährt auf den Bürgersteig und will energisch wissen: "Wer sind Sie, was wollen Sie?" Bodenfelde lebt seit Sonntagabend in Angst um seine Kinder, seit die 14-jährige Nina und der 13-jährige Tobias tot am kleinen Flüsschen Lerchen am Ortsrand gefunden wurden.

Die 40 Jahre alte Mutter Schönbach holte gestern ihren zwölfjährigen Sohn Philipp gerade von der Schule ab: "Das bleibt jetzt auch so, bis der Täter gefunden ist." Wenig später bremst schon wieder eine Mutter, aber die lässt sich auf kein Gespräch ein und fährt die beiden Jungen an: "Nach Hause mit euch! Was treibt ihr euch hier heute rum?" Die ziehen sofort die Köpfe ein machen sich auf den Weg. In Bodenfelde im Landkreis Northeim, mit kaum mehr als 3000 Einwohnern, kennt jeder jeden. Eben deshalb ist der Tod von Nina und Tobias für alle so unvorstellbar und macht so viel Angst. Jeder hier verbindet mit dem Gesicht der Opfer eigene Erinnerungen, vielleicht flüchtig, aber doch ganz nah.

+++ Die Aussagen der Pressekonferenz zum Nachlesen +++

In der Göttinger Gerichtsmedizin läuft zu diesem Zeitpunkt die Obduktion der beiden offenkundig schwer entstellten, also vermutlich brutal ermordeten Opfer. Auf die Ergebnisse der Rechtsmediziner wartet vor allem die Sonderkommission, die beinahe flehend auf einer Pressekonferenz in der Kreisstadt Northeim Zeugen bittet, sich umgehend zu melden. Denn auf die Frage, ob noch andere Kinder und Jugendliche in Bodenfelde in Gefahr sind, zögert Northeims Kripochef Andreas Borchert lange, ehe er dann vorsichtig formuliert: "Das ist eine sehr grundsätzliche Frage. Solange unser Täter noch auf freiem Fuß ist, kann man nichts zu 100 Prozent sicher ausschließen. Das hängt sehr vom psychologischen Profil des Täters ab. Das und seine Motivation aber kennen wir noch nicht."

In der Hoffnung auf Hinweise skizziert Borchert dann noch einmal die letzten Stunden und Tage, ehe die Mutter am Sonntag Tobias in einem kleinen Waldstück am Friedhof gefunden hat. Der hatte am Abend zuvor gegen 20 Uhr einen Freund zum Zug gebracht, danach fehlt von ihm jede Spur. Nina ist bereits am Dienstag vergangener Woche von zu Hause weggelaufen, wurde aber bis Sonnabend immer wieder in Bodenfelde gesehen. Die Polizei hat sie nach einer Vermisstenanzeige der Familie sofort gesucht, es gab sogar mehrere Hausdurchsuchungen. Aber das Mädchen mit den auffällig hellblond gefärbten Haaren wollte wohl, so die Einschätzung von Borchert, nicht gefunden werden: "Sie ist schon früher weggelaufen, aber immer zurückgekommen."

"Ein Indiz, aber auch nicht mehr" für ein sexuelles Motiv ist laut Borchert die Tatsache, dass beiden Todesopfern Kleidungsstücke fehlen. Auf die meisten Nachfragen aber lautete seine Antwort: "Dazu gibt es aus ermittlungstaktischen Gründen keine Auskünfte." Sollte man einen Verdächtigen ermitteln, dann geht es immer auch um die Frage, ob er Wissen hat und preisgibt, das nur der Täter haben kann - immer vorausgesetzt, dieses Wissen ist nicht längst durch die Medien Allgemeingut geworden. Eine Rolle spielt noch eine dunkle Limousine, aus der heraus ein Mann das Mädchen angesprochen haben soll.

Auf der Pressekonferenz in Northeim legten die Polizisten gestern jedes Wort auf die Goldwaage, und in Bodenfelde war das meist auch so. Journalisten sind nicht wirklich willkommen in dem Straßendorf mit dem großen Holzkohlewerk am Ortseingang und den vielen leer stehenden Geschäften. Da, wo ein Weg hinausführt zu dem Waldstück, wo Tobias und Nina gefunden wurden, sind an einer Gartenmauer Hunderte von Grablichtern angezündet worden. Familien drücken sich an Fotografen und Kameraleuten vorbei, zünden weitere Kerzen an und gehen dann meist schnell wieder.

Bodenfelde, so erklärt es ein über 80-jähriger Mann, "siecht vor sich hin". Neben gepflegten Fachwerkhäusern gibt es viel heruntergekommene Bausubstanz: "Die Zahl der Geschäfte wird immer kleiner, es gibt kaum noch etwas außer Lebensmitteln."

Rund um die Heinrich-Roth-Gesamtschule, auf die die beiden Opfer gingen, zeigt die Polizei demonstrativ Präsenz: "Wir wollen Kindern und Eltern ein Gefühl der Sicherheit vermitteln." Psychologen und Seelsorger betreuen die rund 500 Schüler, heute Abend ist ein Gottesdienst geplant, um Abschied zu nehmen. Jan und Sjard, beide 14, sind Achtklässler, mit Tobias im gleichen Jahrgang, aber nicht in derselben Klasse gewesen. "Der war richtig witzig, aber auch ein bisschen verrückt", sagt Sjard - aber ins Detail geht er nicht. Dafür macht eine ältere Dame beim Bäcker ihrer Mischung aus Empörung und Angst deutlich Luft: "Hier kann man ja nur noch mit einem Revolver auf die Straße gehen." Eine andere Frau nickt und erinnert daran, dass es in Bodenfelde schon ein anderes spektakuläres Verbrechen gegeben hat, mit dem der Ort vor drei Jahren in die Schlagzeilen geriet: Die "Schwarze Witwe" tötete vier Männer, um an ihre Vermögen zu gelangen. Sie wurde zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt.

Es waren gestern kaum Kinder im Ort zu sehen, und wenn, dann fast immer in Begleitung von Erwachsenen. "Ich helfe wegen der Berufstätigkeit meiner Tochter aus", sagt ein 65-Jähriger, zieht die Kapuze der Enkelin dichter, weil es inzwischen längst dämmert und immer noch regnet. Und auf Nachfrage fügt er hinzu: "Solange es nötig ist." Die Kerzen am Haus neben dem Bach und dem Weg, der zum Tod führte, wirken jetzt im Dunkeln heller.