Heute um 12 Uhr steht die Entscheidung des Verfassungsgerichts im Wahlrechtsstreit an. Kieler Landtag könnte schon 2011 neu gewählt werden.

Kiel. Entscheidung in Schleswig-Holstein: Das Landesverfassungsgericht verkündet heute Mittag, Punkt 12 Uhr, in Schleswig die mit Spannung erwarteten Urteile im Wahlrechtsstreit. Der schwarz-gelben Regierung droht dabei nach nur zehn Monaten im Amt eine Neuwahl und Ministerpräsident Peter Harry Carstensen (CDU) sogar das politische Aus.

Der Landesvater, der sich öffentlich gelassen gibt, hat intern schon Krisenrunden anberaumt. In der Stunde der Urteilsverkündung trifft er sich mit Vertrauten in der Staatskanzlei, am Abend will er im Landesvorstand die Konsequenzen aus dem Richterspruch beraten. "Im Fall eines Machtworts aus Schleswig reden wir nicht nur über die Zukunft von Schwarz-Gelb, sondern auch über das Führungspersonal", sagte ein CDU-Spitzenfunktionär.

Carstensen selbst hatte die Klage von Grünen und SSW gegen das Wahlgesetz und die Wahlprüfungsbeschwerden lange unterschätzt. Noch vor Wochen war er sicher, dass die Richter allenfalls eine Änderung des wohl verfassungswidrigen Wahlgesetzes zur regulären Landtagswahl im Herbst 2014 anordnen. Carstensen käme das gelegen. Der 63-jährige Diplom-Bauer könnte wie geplant im Dezember das große Sparpaket durch den Landtag bringen, sich so einen Platz in den Geschichtsbüchern sichern und zu einem selbst gewählten Termin 2011 oder 2012 abtreten.

Dass dieser Plan aufgeht, wird im Landeshaus bezweifelt. Grund sind Signale aus Schleswig. Demnach könnte das Gericht die Wahlrechtsverstöße als so schwer einstufen, dass eine vorgezogene Neuwahl fällig ist. Setzt das Gericht keine Frist, könnte bereits im Frühjahr 2011 gewählt werden. In diesem Fall würde Carstensen auf dem CDU-Parteitag am 18. September wohl den Landesvorsitz abgeben und möglicherweise auch den Regierungsstab an einen neuen Spitzenkandidaten übergeben, absehbar an Fraktionschef Christian von Boetticher (39).

In der CDU-Spitze hofft man deshalb, dass die Verfassungsrichter im Fall einer Neuwahl nicht aufs Gas drücken, sondern dem Landtag eine Frist setzen. Im Gespräch ist Ende 2012. Carstensen könnte dann vorerst weiterregieren, allerdings unter erschwerten Bedingungen. Er müsste CDU und FDP dazu bewegen, den unpopulären Sparkurs trotz absehbarer Neuwahl durchzustehen und zugleich die Opposition in Schach halten. Sie will keine Hängepartei, sondern die Bürger so schnell wie möglich an die Urnen rufen.

Durchgespielt wurde in der CDU eine weitere Urteilsvariante. Demnach könnte das Gericht den in Schleswig-Holstein bisher begrenzten Ausgleich von Überhangmandaten für verfassungswidrig erklären. Folge wäre ein weiteres Aufblähen des Landtags auf 101 Abgeordnete (bisher 95) und damit ein Machtwechsel: Statt CDU und FDP hätten SPD, Grüne, Linke und SSW eine Ein-Stimmen-Mehrheit. Carstensen hatte für diesen Fall angedeutet, die Grünen ins schwarz-gelbe Regierungsboot holen zu wollen. Ob dies gelingen könnte oder die Regierungskrise letztlich in Neuwahlen mündet, wird im Landeshaus nur noch am Rande diskutiert. Die Urteilsvariante eines Vollausgleichs der Überhangmandate gilt inzwischen als unwahrscheinlich. Klar ist, dass es bei einem Neuwahl-Spruch des Gerichts auch im Regierungslager Gewinner gebe, etwa Kronprinz von Boetticher. Der Fraktionschef wäre nur bei einer vorgezogenen Wahl der geborene Spitzenkandidat und müsste später Konkurrenten wie Wirtschaftsminister Jost de Jager fürchten. In derselben Lage ist der SPD-Landesvorsitzende und Fraktionschef Ralf Stegner, der zur Urteilsverkündung reist. Er würde die SPD absehbar in eine Neuwahl führen und seinen parteiinternen Kritikern damit ein Schnippchen schlagen. Sie wollen Stegner erst 2013 vom roten Thron stoßen.

Unterdessen mehrt sich im Landeshaus die Kritik am Gericht. Zum einen wird den sieben nebenamtlichen Richtern, die für 600 Euro im Monat urteilen, die Kompetenz abgesprochen, weil im Senat kaum ausgewiesene Verfassungsexperten sitzen, dafür aber etwa ein Strafrechtler, ein Verwaltungsjurist und ein Anwalt.

Das "bunte Gericht" ist allerdings nicht vom Himmel gefallen, sondern wurde 2008 vom Landtag auf schwarz-roten Vorschlag gewählt. Die SPD benannte angeblich drei Richter, die CDU vier. Auch der Vorwurf, der Senat gehe mit dem Wahlgesetz zu hart ins Gericht, fällt auf den Landtag zurück. Schon bei der Verabschiedung des Wahlgesetzes 2003 gab es Verfassungszweifel. Beschlossen wurde das Gesetz, das große Parteien begünstigt, gleichwohl - von SPD und CDU.