Oberbürgermeister Mädge fordert einen neuen Zuschnitt der Verwaltungsgebiete. Und eine kreisfreie Hansestadt. Modellversuch mit Widersachern

Lüneburg. Ulrich Mädge hat eine Vision. Er will die Quadratur des Kreises. Der Oberbürgermeister der Hansestadt Lüneburg fordert eine Reform der Verwaltungsgebiete im Nordosten Niedersachsens. Auch den Landkreis Lüneburg sieht Mädge als auf Dauer nicht überlebensfähig an. Für die Stadt Lüneburg selbst will der 60-Jährige den Status der Kreisfreiheit erreichen und Umlandgemeinden eingliedern. Lüneburg soll von 72 000 auf 135 000 Einwohner wachsen.

1974 war die ehemals selbstständige, mehr als 1000 Jahre alte Stadt gegen ihren Willen dem Landkreis Lüneburg zugeschlagen worden. Doch anders als die meisten niedersächsischen Kommunen wächst Lüneburg stetig. 72 000 Einwohner leben in der Hansestadt, rund 105 000 in den 43 Gemeinden des Landkreises, der in seiner Gestalt kaum heterogener sein könnte - mit reichen Gemeinden im Norden und Nordwesten der Hansestadt und strukturschwachen Gebieten im Osten.

Ein Teil des Landkreises liegt sogar jenseits der Elbe. Amt Neuhaus mit dem einstigen DDR-Sperrgebiet wurde nach der Wiedervereinigung in den Landkreis Lüneburg rückgegliedert. Und in diesen Landkreis passt die Stadt nicht mehr recht hinein. "Es ist ungesund, wenn ein Kreis ein zu großes Oberzentrum hat, da entstehen Unwuchten", sagte Mädge dem Abendblatt.

Zudem leide die Stadt an der Kreisumlage, die sie dem Landkreis für die an ihn übertragenen Aufgaben abführen muss, je nach Steueraufkommen rund 35 Millionen Euro im Jahr. "Wir siedeln auf unsere Kosten Gewerbe an und behalten von den Mehreinnahmen an Gewerbesteuer nur ein Drittel selbst", sagte Mädge. "Strukturschwäche gibt es auch im Landkreis Lüneburg, und das Oberzentrum muss das alimentieren."

Würde die Stadt kreisfrei, kämen zwar diverse zusätzliche Aufgaben auf die Verwaltung zu, unter anderem Veterinär- und Gesundheitsamt sowie Untere Naturschutzbehörde. Insgesamt, hat der Oberbürgermeister und Präsident des Niedersächsischen Städtetags ausgerechnet, würde die Stadt aber einen "mittleren siebenstelligen Betrag" im Jahr sparen, wenn sie kreisfrei würde.

Für den Landkreis Lüneburg empfiehlt Mädge eine Fusion mit Harburg. Eine Umstrukturierung der Kommunen im Jahr 2016 hält der Sozialdemokrat für realistisch.

Doch aus den Gemeinden selbst wird der Verwaltungschef Gegenwind spüren. Joachim Pritzlaff (SPD), Bürgermeister in Adendorf, sagte dem Abendblatt: "Den Wunsch des Oberbürgermeisters nach einer Eingemeindung der Stadtrandgemeinden kann ich aus finanziellen Gründen nachvollziehen. Aber wir sind eine gesunde Gemeinde und wollen den Weg einer Eingemeindung nicht mitgehen. Unseren Ort gibt es seit mehr als 750 Jahren, damit ist er für viele Bürger eine Heimat mit Tradition." Im Übrigen sei eine Eingemeindung Adendorfs in den 70er Jahren schon einmal gescheitert. Die Adendorfer hätten sich mit allen Mitteln gewehrt, das würden sie wieder tun.

Michael Zeinert, Hauptgeschäftsführer der IHK Lüneburg-Wolfsburg, sagte zu den Plänen des Lüneburger Oberbürgermeisters: "Generell bleibt den Kommunen aufgrund des demografischen Wandels gar keine andere Wahl, als über neue und größere Organisationsformen nachzudenken. Die Stärken zu bündeln und gemeinsame Strategien zu entwickeln halte ich in der gegebenen Situation für sinnvoll. Für die Wirtschaftsförderung in einer Kommune ist die Größe allein allerdings nicht ausschlaggebend. Sie können auch in einer größeren Kommune gute oder schlechte Wirtschaftsförderung machen, das ist von mehreren Faktoren abhängig. Mit Blick auf die anstehenden Herausforderungen kann eine Bündelung der Kräfte in den Kommunen aber durchaus vernünftig sein."

Wird die mögliche Kreisreform in Lüneburg auch im Land Kreise ziehen?

Fünf der zehn kleinsten Landkreise in Deutschland liegen in Niedersachsen, mit kaum 50 000 Einwohnern ist Lüchow-Dannenberg der kleinste deutsche Landkreis überhaupt. Eine Kreisreform ist vor allem angesichts der schlechten Finanzlage der kommunalen Ebene eigentlich überfällig.

Der Bund der Steuerzahler Niedersachsen hat vor geraumer Zeit ein Gutachten vorgelegt und die Bildung von zehn Großkreisen vorgeschlagen. Der Steuerzahlerbund bezifferte das Einsparpotenzial auf mindestens 400 Millionen Euro. Die CDU-FDP-Landesregierung aber winkte sofort ab. Eine Kreisreform beschert regelmäßig massive Proteste der Lokalpatrioten, und das wollte der ehemalige Ministerpräsident Christian Wulff (CDU) um jeden Preis vermeiden.

Die Landesregierung, die sich einen großen Wurf nicht zutraut, versucht immerhin, freiwillige Fusionen mit Geld zu fördern. Dafür wurde eigens ein Finanztopf geschaffen, der Kommunen bis zu 75 Prozent ihrer Schulden abnimmt, wenn die Fusion zustande kommt und auch konkrete Einsparchancen nachprüfbar vorhanden sind, also eine Entschuldungsperspektive entsteht. Aus diesem Topf für "Hochzeitsprämien" könnten auch Kreisfusionen unterstützt werden.

Dass es auf Kreisebene großen Fusionsbedarf gibt, hat vor Wochenfrist der Landesregierung erneut deren eigener Gutachter Prof. Joachim Jens Hesse bestätigt. Die Studie des Instituts für Staats- und Europawissenschaften hat auch ebenjene Lösung für Lüneburg empfohlen, die Stadtoberhaupt Mädge jetzt propagiert.

Vor allem aber erhöht die Studie den Druck auf die Landespolitik, überall dort bei den noch 37 Landkreisen und neun kreisfreien Städten per Gesetz für Fusionen zu sorgen, wo die Lokalpolitiker freiwillig nicht lassen wollen vom eigenen Kreishaus, dem eigenen Landrat und dem geliebten eigenen Autokennzeichen.