Muffelige Gastlichkeit, Latte macchiato im Kännchen: Der Tourismus des Mittelgebirges ging durch ein tiefes Tal. Jetzt soll ein Imagewechsel her.

Goslar/St. Andreasberg. Mit dem Harz ist es ein wenig wie mit Helgoland. Viele Hamburger waren noch nie da, weil beide Urlaubsziele den Ruch des Angestaubten, des Rentnerparadieses, einfach nicht loswerden. Wer dann doch hinfährt, wird positiv überrascht und ist bereit, über Schwachstellen hinwegzusehen.

Wenn es auch immer noch vielerorts muffelige Bedienungen, altersschwache Pensionsbetten und abgewetzten Charme mit Blümchentapete und röhrendem Hirsch gibt, geht es doch voran im Harz. Erstmals seit der Jahrtausendwende hat der Tourismus 2009 wieder zugelegt. "Die Übernachtungszahlen sind um 1,5 Prozent gestiegen", zitiert Carola Schmidt, Geschäftsführerin des Gesamtharzer Tourismusverbandes (HTV) aus der Jahresbilanz. Erstmals konnte auch der niedersächsische Teil des Mittelgebirges, lange Zeit Sorgenkind der Region, wieder punkten: Auch hier erreichte das Wachstum 1,5 Prozent. Viele der etwa 1000 Gaststätten, Hotels und Pensionen und zwei Thermen planten zudem derzeit Investitionen, so die 36-jährige Tourismusmanagerin: "Ich bin überzeugt, dass wir die Talsohle durchschritten haben."

Darauf hofft auch Hans-Günter Schärf, Bürgermeister von St. Andreasberg. Das defizitäre Schwimmbad in der kleinsten eigenständigen niedersächsischen Stadt (1870 Einwohner) ist schon seit fast einem Jahr geschlossen. Wenn es nach Schärf ginge, würde er lieber heute als morgen die Abrissbirne bestellen, denn es gibt hochfliegende Pläne für den schönen Flecken Erde oben auf dem Berg, wo auch noch die insolvente Tennisanlage vom Niedergang der einst stolzen Bergstadt zeugt. Die Rede ist von einem exklusiven Gesundheitshotel, einem zweiten Lanserhof, dessen Original in Tirol steht. Dort kommen hauptsächlich Prominente hin, um es sich wohl sein zu lassen.

Der Hamburger Investor Ahmad Djabbari (DRI Djabbari Real Invest) hat die Tiroler Hotelbetreiber mit den St. Andreasbergern zusammengebracht. Er und der Hamburger Architekt Hadi Teherani waren vor einiger Zeit Gäste im Lanserhof. Dabei kamen sie mit dem Geschäftsführer Andreas Wieser ins Gespräch. "Er suchte schon länger nach einem weiteren Standort, Marbella war im Gespräch, oder die Schweiz." Ahmad Djabbari brachte den Harz ins Spiel: "Ich mag das Magische, den Zauber dort." Die Tiroler hätten anfangs verhalten reagiert. "Die erste Reaktion war, warum nicht Sylt?", erinnert er sich. Doch er habe die Bedenken zerstreuen können: "Ich bin der Überzeugung, dass der Harz eine große Zukunft haben kann." Stolz präsentiert Djabbari Teheranis Entwurf - ein weißes, kantiges Gebäude, das auf einem Tulpenfuß thront. Es ist bereits der zweite Entwurf. Dieser Bau sei architektonisch noch anspruchsvoller. Und teurer. Nun soll das Projekt 42 statt 36 Millionen Euro kosten.

Bürgermeister Schärf hofft inständig auf dieses Hotel für betuchte Gäste. Denn in der hochverschuldeten Stadt, die wegen ihrer prekären finanziellen Lage im November 2011 mit Braunlage fusioniert, muss dringend etwas passieren. Immerhin waren in der vergangenen Woche nach Angaben von Djabbari Vertreter der Eigentümergesellschaft und der Betreibergesellschaft des Lanserhofs in Hamburg, um einen Managementvertrag zu unterzeichnen. "Ich gehe davon aus, dass noch in diesem Jahr die Bagger rollen", so Djabbari. Mit Blick auf den Entwurf sagt der Projektentwickler: "Es wird ein modernes Kloster, wo die Menschen ihre Ruhe wiederfinden."

Solche Leuchtturmprojekte könnten helfen, den angestrebten Imagewechsel im Harz zu bewerkstelligen. Die Silver-Ager, die über 50-Jährigen, seien immer noch die Hauptzielgruppe, sagt Carola Schmidt. "Unser Ziel ist nicht, den Harz hip zu machen, aber es gibt noch Potenzial bei Familien mit Kindern, kulturinteressierten Gästen und Aktivtouristen."

Ostharz, Westharz - auch diese Kategorien müsse man überwinden, fordert die engagierte 36-Jährige, die den HTV seit Januar leitet. Sie will die Dachmarke "Harz" stärken. "Das ist die Lokomotive, an die ich die Waggons anhängen kann." Denn eines ist klar: Die einzelnen Gemeinden haben nicht mehr das nötige Geld, um sich allein am Markt behaupten zu können. Das sei auch nicht mehr zielführend, findet Professor Michael-Thaddäus Schreiber von der Hochschule Harz in Wernigerode: "Der Harz muss sich als Ganzes positionieren, eine Marke werden wie Sylt", fordert der Professor des Studiengangs Tourismusmanagement. Nach der Wende habe der Ostharz mit Fördermitteln eine touristische Infrastruktur aufgebaut, während im Westharz nach dem Ende der Zonenrandförderung kaum noch investiert worden sei, sagt der Experte. "Seit ein paar Jahren gibt es auch im Westen vielfältige Investitionen. Die Schere schließt sich."

Schreiber war kürzlich in Tirol zum Skilaufen: "Wenn man sieht, wie die mit ihren Gästen umgehen - herzlich, freundlich, und man hat das Gefühl, man ist ein willkommener Gast." Ob es an der Mentalität der Menschen dort liege oder an besserer Schulung, wisse er nicht, das sei für den Gast auch unerheblich. "Entscheidend ist die Servicequalität. Es gibt auch im Harz extrem professionelle Gastgeber, aber bei vielen gibt es noch Potenzial", formuliert er vorsichtig.

Stefanie Hartmann ist weniger diplomatisch: "Als ich vor 30, 35 Jahren mit meinen Eltern zum Rodeln hier im Harz war, sah es hier schon genauso aus." Die Betriebsleiterin der "Bavaria Alm" in Torfhaus vertritt den "neuen" Harz. Der Name "Bavaria" ist seit der Eröffnung 2006 umstritten, das Konzept dagegen hat eingeschlagen. "Der Service stimmt, der Erfolg spricht für sich", lobt auch Carola Schmidt. Freundliche Bedienungen in der Gaststätte mit 240 Plätzen drinnen und ebenso vielen draußen auf der Terrasse mit Blick auf den Brocken, die rustikale Speisekarte und die gemütliche Inneneinrichtung locken Touristen, aber auch Einheimische. Die Lüder Unternehmensgruppe aus Hildesheim, zu der auch die "Bavaria Alm" gehört, will nebenan eine Ferienhaussiedlung errichten. Nicht nur das "Café Brockenblick", in dem Latte macchiato im Kännchen serviert wurde (und ohne geschäumte Milch), ist inzwischen geschlossen, auch die meisten anderen Gaststätten in Torfhaus haben dicht gemacht. Wenn Service und Qualität nicht stimmen, wandern die Gäste ab.

Doch genau das kann sich der Harz nicht mehr leisten: "Der Markt ist schnelllebiger geworden, und wir müssen mit vielen Zielen konkurrieren", sagt Carola Schmidt. Andererseits hat die Region einen Vorteil: Der Harz liegt mitten in Deutschland und hat ein großes Einzugsgebiet. Wer wandern (8000 Kilometer Wanderwege) oder Ski fahren (Alpin oder Langlauf) will, wer Hochseilgärten oder Mountainbike-Strecken sucht, muss eben nicht bis nach Bayern fahren, all das kann auch er im Mittelgebirge. Nun müssten die Harzer noch lernen, selbst stolz auf ihre Heimat zu sein, wünscht sich HTV-Geschäftsführerin Carola Schmidt. Schließlich hat der Harz neben der besonderen Landschaft und der Natur mit Goslar, Quedlinburg und der Lutherstadt Eisleben gleich drei Welterbestätten zu bieten. Auch alt, aber keineswegs verstaubt.