Die Väter der drei Opfer reisen ins türkische Antalya, um die Anklage zu hören. Verfahren wird Monate dauern.

Lübeck/Antalya. Für die Lübecker Familien ist es ein schwerer Tag. Einer, an dem sie mit den Männern konfrontiert werden, die ihre Söhne getötet, ihre Töchter verletzt haben - wohl aus Profitgier, zum Teil vielleicht auch aus Gedankenlosigkeit. Im türkischen Antalya beginnt heute der Prozess gegen 13 Verdächtige, die an Herstellung und Vertrieb jenes gepanschten Alkohols beteiligt gewesen sein sollen, der im März vergangenen Jahres drei Lübecker Schüler tötete und weitere gesundheitlich schwer schädigte (wir berichteten).

Eine Methanolvergiftung war es, die zunächst den 21-jährigen Rafael N., später seinen Mitschülern Jan und Jean-Pierre (17, 19) das Leben kostete. Auf der Abschlussfahrt ihrer Berufsschulklasse in den südtürkischen Küstenort Kemer hatten sie von einem Angestellten des Hotels Anatolia Beach, in dem sie mit ihrem Lehrer nächtigten, angeblichen Wodka gekauft und in ihrem Hotelzimmer getrunken. Rafael N. starb noch vor Ort, seine Mitschüler später in der Lübecker Uni-Klinik. Sie waren nach dem Verzehr des Getränks ins Koma gefallen und nicht wieder aufgewacht. Der Lübecker Rechtsanwalt Frank-Eckhard Brand vertritt fünf der betroffenen Familien - die des toten Rafael und die des toten Jean-Pierre sowie drei Familien von Jugendlichen, die den Konsum des Wodkas überlebten.

Drei der betroffenen Väter sind gestern nach Antalya gereist, wollen auf der Bank der Nebenklage im Gerichtssaal Platz nehmen. Brand hofft, dass davon auch ein Signal für die Angeklagten und das Gericht ausgeht: "Die Väter, die sich entschlossen haben mitzufliegen, wollen die Anklage hören, wollen die Männer sehen, die für ihr Schicksal verantwortlich sind." Die Verhandlung, sie beginnt am Morgen, wird für die Nebenkläger von einer Dolmetscherin simultan übersetzt.

"Ich gehe davon aus, dass der Prozess ein halbes Jahr oder noch deutlich länger dauern wird", sagt Anwalt Brand. Zahlreiche Schüler des Berufsbildungszentrums Mortzfeld, in das die Betroffenen gingen, sollen befragt werden, teils als Geschädigte, teils als Zeugen. Ihre Vernehmungen sollen allerdings nicht in Antalya, sondern in Lübeck stattfinden und dann per Video im Gerichtssaal übertragen werden. Das ist im Rahmen europäischer Rechtshilfe-Abkommen möglich, jedoch dauert es oft Wochen, bis die Formalien für eine solche Art der Vernehmung erledigt sind. Zudem werde das Gericht entscheiden müssen, ob das Verfahren im Ganzen weitergeführt werde oder Einzelverfahren gegen einige Beteiligte abgetrennt werden, so Brand. Denn angeklagt sind nicht nur die Verkäufer des Methanol-Wodkas, sondern auch Zwischenhändler, Produzenten und die vermutlichen Hintermänner Chengiz E. und dessen Bruder. Der Vorwurf: Totschlag und versuchter Totschlag mit bedingtem Vorsatz - ein Straftatbestand, den es so in Deutschland nicht gibt. Bis zu 25 Jahre Haft kann das Gericht in Antalya in entsprechenden Fällen verhängen. Brand erhofft sich, dass in dem Prozess auch die Strukturen zu Tage treten, die hinter dem Millionengeschäft mit dem türkischen "Todes-Schnaps" stehen. Auch davon werde abhängen, wer als "Hauptangeklagter" anzusehen ist. Bei Polizeirazzien in der Region Antalya waren allein zwischen 2005 und 2009 mehr als 260 000 Flaschen gepanschten Alkohols entdeckt worden. 24 Hoteliers standen in den vergangenen Jahren vor Gericht. Ihnen wurde vorgeworfen, gefährlichen Billigschnaps ausgeschenkt zu haben. Die Strafen blieben oft gering. Die Väter der toten Jugendlichen hoffen, dass ihre Anwesenheit und die damit verbundene internationale Aufmerksamkeit einen Beitrag dazu leisten, dass das Problem nun - endlich - umfassend aufgearbeitet wird.