In der “Praxis ohne Grenzen“ kann man anonym bleiben, muss nicht versichert sein und bekommt keine Rechnung.

Bad Segeberg. Das Projekt ist bundesweit einmalig: In Bad Segeberg eröffnet Uwe Denker am 20. Januar eine Praxis für mittellose Menschen in Zusammenarbeit mit der Segeberger Tafel. In der "Praxis ohne Grenzen" berät, untersucht und behandelt der 71-jährige Mediziner Menschen, die sich einen Besuch beim Arzt nicht leisten können. Geplant ist bisher eine Sprechstunde, die jeden Mittwoch von 15 bis 17 Uhr in den Räumen der Arbeiterwohlfahrt (AWO) stattfinden soll. Und das völlig kostenlos, ausweisen muss sich auch niemand: "Damit die Menschen sich trauen, zu uns zu kommen, möchten wir, dass die sie anonym bleiben können", sagt Denker.

Die Idee hatte der Allgemeinmediziner vor vier Jahren. "Als praktizierender Arzt hatte ich gesehen, dass sich viele Menschen weder zehn Euro Praxisgebühr noch die Zuzahlungen für Medikamente leisten können", sagt Denker. Als Vorsitzender des Gesundheitsforums Segeberg habe er weiter Kontakt zu Ärzten und Apothekern, die über eine steigende Zahl von mittellosen Patienten berichteten. Zudem wisse er von seiner Frau Christa, die im Vorstand der Segeberger Tafel arbeitet: "Immer mehr Menschen brauchen Hilfe. Die Tafel gibt jeden Freitag ab 14 Uhr Lebensmittel ab. Manchmal stehen da schon morgens um neun Uhr bis zu 200 Menschen in der Schlange", sagt Denker. "Und das mitten am Busbahnhof, wie auf dem Präsentierteller."

Anfang 2010 kann die Tafel umziehen, ins Gewerbegebiet Efeustraße. Denker wird im Frühjahr folgen, dann lässt die Stadt das Fundament für einen Container gießen, der dort im Garten stehen wird. Hardis Hagemann, Vorsitzende der Tafel, sieht eine gemeinsame Klientel mit der Praxis: "Denkers Vorschlag, ärztliche Behandlung anzubieten, haben wir in unsere Satzung aufgenommen. Darin steht jetzt, dass wir eine Heilbehandlung kostenlos anbieten, genau wie unsere Ware", so Hagemann. "Viele, die zu uns kommen, sind nicht krankenversichert", sagt sie. "Das ist statistisch gar nicht erfasst."

Bekannt sind die Zahlen der Empfänger von Sozialleistungen: Laut Statistischem Landesamt Nord bezogen 2003 noch 2,7 Prozent der Bevölkerung im Kreis Segeberg Sozialhilfe. 2007 bekamen 4,3 Prozent der Einwohner Leistungen nach SGB II, im Volksmund Hartz IV. 2008 waren es schon 5,7 Prozent. "Hartz-IV-Empfänger bekommen zwar Geld für medizinische Leistungen", sagt Denker. "Doch im Gegensatz zu Rentnern müssen sie nachträglich einen Antrag stellen. Viele können nichts vorschießen. Und mit den komplizierten Anträgen sind sie überfordert." Neben Hartz-IV-Empfängern erwartet Denker vor allem Selbstständige in der "Praxis ohne Grenzen". "Wer freiwillig versichert ist und seine Beiträge nicht zahlen kann, fliegt aus der Kasse", sagt Denker. "Dann behandelt ihn kein Arzt mehr. Und auch wenn er später wieder aufgenommen wird, zahlen die Versicherungen oft nicht, weil noch Schulden bestehen."

Christoph Meyer, Allgemeinmediziner und Unterstützer Denkers sagt: "Kürzlich saß ein Schausteller in meiner Praxis. Er war in der Kasse wieder aufgenommen worden, hatte aber die Schulden nicht bezahlt. Der saß vor mir mit ein paar Münzen in einer Plastiktüte - ich habe die Behandlung und die Medikamente bezahlt." Meyer, auch Vorstandssprecher von Q-Pharm, möchte der "Praxis ohne Grenzen" mit Medikamenten aushelfen. Q-Pharm ist ein Zusammenschluss von 2200 Ärzten in Schleswig-Holstein, die bundesweit Mediziner mit Generika versorgen - Medikamente, die eine ähnliche Wirkung haben wie Markenprodukte, aber preiswerter sind. "Wir wollen Denker helfen, doch es gibt bürokratische Hürden", sagt Meyer. "Wir haben viele Medikamente, doch das Gesetz verbietet es, sie zu verschenken." Auch die Arzneimittel, die Denker bis jetzt als Spende gesammelt hat, etwa aus Altenheimen oder privaten Hausapotheken, sind "rechtlich in einer Grauzone". Doch der 71-Jährige gibt sich kämpferisch: "Jedes Jahr werden rund 22 Tonnen brauchbare Medikamente vernichtet. Da will ich ran!"

Denkers Engagement hat bereits viele Mitstreiter gefunden: Eine Internistin aus Bad Schwartau wird die Herz-Kreislauf-Erkrankungen behandeln, ein Laborarzt in Lübeck die Blutuntersuchungen vornehmen. Auch Sachspenden sind angekommen: eine Liege aus Hamburg, Verbandsmaterial aus Wuppertal. "Es fehlt noch an allen Ecken und Enden", sagt Denker. "Aber es wird!"