Karsten Neumann hält jede Form der Geschwindigkeitsüberwachung für rechtswidrig und fordert ein Gesetz.

Karsten Neumann dürfte jenen aus der Seele sprechen, die nicht müde werden zu schimpfen über die Blitzer, die einem Punkte in Flensburg bescheren und das Geld aus der Tasche nehmen. Neumann, der oberste Datenschützer von Mecklenburg-Vorpommern, stellt einfach das ganze System der Geschwindigkeitsüberwachung in Frage. Nachdem nun auch das Oberlandesgericht Oldenburg die fortlaufende Videokontrolle - das "Dauer-Scanning" - von Autobahnen als illegal geißelte, hält er jegliche Form der Geschwindigkeitsüberwachung für rechtswidrig. Auch für die Blitzer fehle eine gesetzliche Grundlage. "Damit dürften Bußgelder keinen Bestand mehr haben", sagte Neumann der Deutschen Presse-Agentur.

Dafür hagelte es prompt Kritik. Innenminister Lorenz Caffier (CDU) warf Neumann vor, er vergleiche Äpfel mit Birnen. Das Urteil beziehe sich nur auf eine verdachtsunabhängige Dauerüberwachung. Beim Blitzen werde indes erst der Verstoß festgestellt, dann das Foto gemacht. "Es handelt sich wohl um eine Einzelmeinung", sagt ADAC-Rechtsexperte Maximilian Maurer. "Würde das Schule machen, dann wäre das katastrophal, der Tod der Verkehrsüberwachung." Raser und Rowdys schützen - genau das will Neumann jedoch nicht. Ihm gehe es um die Eingriffe der Verwaltung in die Persönlichkeitsrechte der Bürger ohne gesetzliche Grundlage. Neumann fordert ein Gesetz. Eines, das klar regelt, wer unter welchen Umständen befugt ist, solche Daten zu erheben, und wie diese geschützt werden sollen.

Bereits im August hatte das Bundesverfassungsgericht entschieden: Das Dauer-Scanning entbehre einer gesetzlichen Grundlage. An diesen Tenor hielt sich auch das Amtsgericht Grimma (Sachen), als es vor wenigen Tagen Blitzerfotos als Beweis gegen Temposünder ablehnte: Ohne einen begründeten Anfangsverdacht, so das Gericht, dürften die Bilder gar nicht gemacht werden.

Einen "begründeten Verdacht" vermochte auch Datenschützer Neumann nicht zu erkennen, als ihn eine Zivilstreife im Februar 2006 beim Überfahren einer roten Ampel filmte. Vorm Amtsgericht Schwerin argumentierte er, es habe sich um eine "verdeckte Überwachung" gehandelt. Neumann sah sein Recht auf "informationelle Selbstbestimmung" verletzt. Das Gericht konstatierte indes, die Daten seien rechtswidrig erhoben worden, dürften jedoch verwertet werden.

Damit ist nun Schluss. Beanstandet hatten die Oldenburger Richter ein Messverfahren, bei dem Autofahrer verdachtsunabhängig gefilmt werden - also auch solche, die nicht rasen, nicht zu dicht auffahren. Als illegal hatte das Verfassungsgericht die Beweiserhebung gegeißelt. Nun dürfen, so das OLG, die Aufnahmen auch nicht mehr als Beweis in einem Bußgeldverfahren dienen.

Der ADAC begrüßt den Richterspruch. "Aufnahmen sollten nur dann gestattet sein, wenn es einen konkreten Verdacht gibt", sagt Maurer. Die auf Datenschutz spezialisierte Anwältin Carola Sieling geht noch einen Schritt weiter. "Jede heimliche Überwachung stellt einen Eingriff in die Persönlichkeitsrechte dar." Dass nun die Videoüberwachung obsolet wird, Kameras demontiert werden, halte sie für unwahrscheinlich. "Eher wird ein neues Gesetz geschaffen, etwa auf Basis der Gefahrenabwehr." Verkehrsrechtsexperten wie der Hamburger Anwalt Hans-Joachim Eggers rechnen damit, dass die Zahl der Einsprüche gegen Bußgeldbescheide und Rechtsbeschwerden bei den Amtsgerichten deutlich steigen werden. In Hamburg und Schleswig-Holstein sei damit jedoch nicht zu rechnen. "In Hamburg findet keine verdachtsunabhängige Messung statt", sagt Ulf Krumrei von der Hamburger Verkehrsdirektion. Auch in Schleswig-Holstein sei die Permanent-Videokontrolle an Autobahnen kein Thema. Das Oldenburger Urteil habe für die Arbeit der Polizei deshalb "keine Auswirkung", teilte das Innenministerium mit.

"Wer keinen Widerspruch gegen einen Bußgeldbescheid eingelegt hat, dem nützt auch das neue Urteil nichts", sagt Anwältin Sieling. "Nach vier Wochen sind die Bußgeldbescheide bestandskräftig."