Heftige Auseinandersetzungen bei Vernehmung des Umweltministers. CDU reagierte empört, Hans-Heinrich Sander gelassen. Er sieht die Hauptverantwortung beim Bund.

Hannover. Der Vorwurf ist an Brisanz kaum zu überbieten: Nach Einschätzung der oppositionellen SPD hat das niedersächsische Umweltministerium dem Untersuchungsausschuss zum maroden Atomendlager Asse Akten "vorenthalten, verstümmelt und verfälscht". SPD-Obmann Detlef Tanke forderte deshalb gestern den Rücktritt von Umweltminister Hans-Heinrich Sander (FDP). Der nahm es gelassen - und als sich am Nachmittag nach eifriger Suche ein Teil der angeblich vorenthaltenen Akten in den Unterlagen des Ausschusses bereits wieder eingefunden hatte, kam es mit mehr als fünfstündiger Verspätung doch noch zu dem mit Spannung erwarteten Zeugenauftritt des Ministers.

Die SPD blieb zwar beim Vorwurf der Manipulation und will unverändert, dass der Minister seinen Hut nimmt. Tatsächlich droht der Untersuchungsausschuss inzwischen an seinem umfassenden und mehr als 40 Jahre zurückreichenden Auftrag zu ersticken. Es geht darum, wie es zur Entscheidung für das Atomendlager Asse in einem maroden alten Salzbergwerk bei Wolfenbüttel Mitte der 60er-Jahre kam, wie viel gefährlicher Müll hier überhaupt lagert, ob die Probleme über Jahrzehnte totgeschwiegen worden sind.

Allein das Umweltministerium in Hannover hat dazu über 1200 Akten mit 285 000 Seiten geliefert, weitere riesige Bestände kamen von Bundes- und Fachbehörden. Der Grünen-Fraktionschef Stefan Wenzel hat schon vor Wochen eingeräumt, angesichts solcher Papierberge hoffe man auf "Zufallsfunde".

Mit bohrenden Fragen versuchten die Oppositionsabgeordneten im Ausschuss dann gestern nach der Aufregung um die Akten von Umweltminister Sander Genaueres zu erfahren über Verantwortlichkeiten seit seinem Amtsantritt 2003. Sander nahm die Gelegenheit prompt wahr: "Der Bund ist der Eigentümer der Asse." Und die Bundesebene ist es aus seiner Sicht auch gewesen, die Fehler und Pannen zu verantworten hat. Die Gesellschaft für Strahlenschutz (GfS) und später dann das Helmholtz-Zentrum München seien im Auftrag des Bundes Betreiber des Endlagers mit 126 000 Fässern radioaktiven Mülls gewesen und hätten es über Jahrzehnte nicht geschafft, ein "trag- und genehmigungsfähiges Konzept" für eine sichere Schließung des einsturzgefährdeten ehemaligen Salzbergwerks zu erarbeiten. Sander: "Das ist für mich der eigentliche Skandal." Der Betreiber, so Sanders Fazit, sei "mit der Situation tatsächlich überfordert" gewesen.

Für sich selbst reklamierte Sander, dass er letztlich gegen anfangs hinhaltenden Widerstand der Bundesebene für Transparenz und Offenheit gegenüber der Bevölkerung vor Ort gesorgt habe: "Wir haben den Begleitprozess der Asse angeschoben und letztlich durchgesetzt." Der offenkundig gut vorbereitete Minister referierte tagesgenau Termine und Vermerke auch aus der Anfangszeit seiner Amtstätigkeit, stellte sich demonstrativ vor die für die Atomaufsicht in seinem Haus zuständigen Fachleute und lobte sogar den neuen SPD-Chef Sigmar Gabriel. Der habe in seiner Amtszeit als Bundesumweltminister zu Transparenz und Offenheit im Umgang mit der Asse beigetragen und schließlich dafür gesorgt, dass für die Asse unter dem neuen Betreiber (dem Bundesamt für Strahlenschutz ) jetzt das schärfere Atomrecht statt des Bergrechts gilt. "Für mich als Nichtjuristen war es schon immer schwer nachvollziehbar, warum für die Asse mit ihren radioaktiven Einlagerungen nicht auch Atomrecht herangezogen wurde."

Für Sander war die Zeugenaussage gestern nur der Anfang. Die Oppositionsvertreter haben bereits deutlich gemacht, dass sie ihn vermutlich noch mindestens zweimal laden werden. Der Minister nutzte gleich den ersten Auftritt, auch eine Panne im eigenen Haus offen einzuräumen. Dass es in der Asse nicht nur Laugenzuflüsse, sondern auch schon radioaktiv verseuchte Laugen gab, hätte sein Ministerium "theoretisch" schon 2006 und nicht erst ein Jahr später wissen können.

Eindeutig stellte sich Sander gestern hinter die Forderung der örtlichen Bürgerinitiativen, bei der anstehenden Schließung der Grube auch ergebnisoffen zu prüfen, ob die 126 000 Fässer mit schwach und mittelaktivem Atommüll nicht wieder rausgeholt werden müssen: "Das Ziel ist und bleibt es, die bestmögliche Variante zu ermitteln und am Ende umzusetzen."