Hamburg. Wie verschwindend klein ist der Mensch doch im Vergleich zur gewaltigen schwarzen Bugwand, die sich am Kai auftürmt! Bedrohend schaukelt der Ozeanriese im Wasser. Säcke, Fässer, Holzkisten und Koffer stehen an der Pier. Ladegeräusche hallen über den Anleger; diffuses Licht steigert die angespannte Atmosphäre: Dämmerung auch in der Seele. Reisegrüppchen stehen eng beieinander, ein umfassendes Frösteln scheint zu einen. Was wird die Zukunft in der Neuen Welt bringen? Verläuft die Überfahrt ohne Krankheit? Glückt die Einreise in die Vereinigten Staaten? Geht mit den Kindern alles klar? Widerstreitende Gefühle zwischen Hoffen, Bangen und Furcht vor dem Ungewissen strapazieren die Nerven.

Realistischer als im Deutschen Auswandererhaus in Bremerhaven können Beklemmungen nicht in Szene gesetzt werden. Denn unmittelbar nach dem Eintritt der Erlebniswelt betritt der Besucher eine riesige, abgedunkelte Halle, die mit viel Geld und noch mehr Gespür für Illusionen Gänsehaut produziert. Wer hier steht, die erstklassig präparierten Puppen und den im Hollywood-Stil perfekt imitierten Dampfer betrachtet, kann sich in das Schicksal jener sieben Millionen Europäer versetzen, die von Bremerhaven aus ins vermeintlich große Glück starteten.

Noch nachvollziehbarer wird der Rundgang durch das 3500 Quadratmeter große Areal direkt an der Waterkant durch einen genialen Einfall der Museumsmacher um den Hamburger Unternehmer Andreas Heller. Als Eintrittskarte fungiert ein Boarding-Pass, der mit einer Chipkarte bestückt ist. Auf diese Weise kann jeder Gast die Auswanderung einer Person miterleben - authentisch und täuschend echt. An mehreren Stationen wird dann der jeweilige Pate lebendig.

Zum Beispiel Martha Hüner aus Geestemünde. 1923, im Alter von 17 Jahren, überredete die junge Frau ihren Vater, ihre Zukunft in Übersee zu suchen. "Verseuk dien Glück, mien Deern", lautete die Antwort. Etappe um Etappe wird der Weg der Frau geschildert. 18 dieser Personen und ebenso viele Lebensläufe sind im Auswandererhaus nachvollziehbar zu erleben. Bis die Emigrantin Martha Hüner von ihrer Tante Käthe in New York abgeholt wurde. Neun Jahre später heiratete sie und eröffnete mit ihrem Mann eine Bäckerei in New Jersey.

Und da es Martha eben tatsächlich gab, verläuft die Passage durchs Museum auch so prickelnd. Ein vergilbtes Foto zeigt die Frau direkt vor der Schiffspassage - mit großem Koffer und verhalten optimistischem Blick.

Doch hat der Blick in die Vergangenheit nicht nur angenehme Winkel. Denn von der Kaimauer aus führt der Weg über Gangways in drei verschiedene Zwischendecks der 3. Klasse. Auf einem Segelschiff des mittleren 19. Jahrhunderts, einem Motorschiff der ersten Generation von 18888 sowie einem Kreuzfahrtschiff luxuriöser Bauart von 1929 kann die Überfahrt einer typischen Familie verfolgt werden, die pure Not in die Ferne führt. Auch dieser Bereich wird hervorragend und täuschend echt präsentiert - bis hin zur Endstation, den vergitterten Einwanderungszellen in New York inklusive erniedrigender Untersuchungen und Kontrollen dort.

Für rund zwei Stunden kann die Realität backbords gelassen werden. Ebenso wie die Fassade des Deutschen Auswandererhauses, die im Gegensatz zu den inneren Werten nur bedingt einladend wirkt. Der kubusförmige Neubau liegt direkt neben dem Klimahaus im Hafen. Eine Kette von Museen und anderen Attraktionen soll immer mehr Touristen anziehen. Für die "emotionale Kraft" und die "Visualisierung des Abschieds" erhielt das Deutsche Auswandererhaus mehrere Preise. "Wir wollen aus der Masse der Museen herausragen", sagt Direktorin Simone Eick (37).