Hamburger will DDR-Geschichte in ehemaligem Grenzort aufarbeiten. Einwohner fühlen sich provoziert.

Schönberg. Auf Helmut Prellers weißem Overall hinterlässt der Schneeregen nasse Flecken. Der 58-Jährige steht vor einer 20 Meter langen Mauer, seiner Montage aus weißen Sperrholzplatten mit Stacheldraht. Bemalt mit Grenzszenen, beklebt mit Zeitungsausschnitten und Zitaten. Ein Mahnmal für die Opfer des DDR-Regimes. Auf einer Tafel stehen zwei Gebote: "Du sollst dich erinnern" und "Du sollst die Symbole der friedlichen Revolution nicht missbrauchen". Darunter die Namen von drei Lokalpolitikern samt Stasi-Decknamen. Einer von ihnen ist Michael Heinze (53), Schönbergs beurlaubter Bürgermeister.

20 Jahre Mauerfall - die Feierlichkeiten sind vorbei. Die Mauern in den Köpfen sind allerdings noch nicht ganz verschwunden. Dagegen will Preller angehen und die DDR-Vergangenheit des ehemaligen Grenzortes in Mecklenburg-Vorpommern aufarbeiten. Damit stößt er bei den Bürgern der 4400-Seelen-Gemeinde auf heftigen Widerstand. Denn die wollen sich von einem zugezogenen "Wessi" nicht ihre Geschichte erklären lassen und stehen hinter ihrem Bürgermeister - Stasi-Vergangenheit hin oder her.

Preller zog vor fünf Jahren von Hamburg nach Schönberg in einen leer stehenden Gasthof. Auf den Tischen seines Ateliers stapeln sich Bücher über die Stasi und Machtstrukturen in der DDR. "Grenzerfahrungen" ist eines davon. Einige Seiten sind mit Zetteln markiert. Diejenigen, auf denen Bürgermeister Heinze erzählt, wie er Jagd auf einen Flüchtling machte, und dass er "reaktivieren" wolle, was an der SED gut war. Heinze war Kommandeur der Grenztruppen in Schönberg. Das Grenzregiment Grevesmühlen-Gadebusch war hier stationiert. "Ich war mit Leib und Seele Soldat", schreibt Heinze.

Von seiner Vergangenheit als IM "Richard" ist nichts zu lesen. "Die hat er bei seiner Wahl 2004 verschwiegen", sagt Preller.

Als Heinze im Juni 2009 mit 72 Prozent der Stimmen wiedergewählt wird, legt Preller Einspruch ein. Kurz darauf erklärt der Wahlprüfungsausschuss die Wiederwahl für ungültig. Heinze wird beurlaubt. Dagegen klagt er nun.

Als die Mauer fiel, änderte sich das System. Die Menschen, darunter einstige Grenzer, Stasi-Mitarbeiter und Sympathisanten, blieben dieselben. Schönberg ist kein Einzelfall. "Auch in anderen ostdeutschen Gemeinden werden Fälle gemeldet, wo ehemalige Stasi-Mitarbeiter politische Ämter innehaben", sagt Marita Pagels-Heineking, Stasi-Beauftragte des Landes Mecklenburg-Vorpommern. "Und das nicht nur auf Landesebene, wie man im Fall Brandenburg sieht", sagt Pagels-Heineking. Sie meint den brandenburgischen Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD), der die Berufung von Ministern mit Stasi-Vergangenheit erwägt und damit Empörung auslöste.

"Man muss die Vergangenheit endlich ruhen lassen", sagt eine Schönbergerin, die gerade in der Drogerie am Markplatz einkauft. Namentlich genannt werden will sie nicht. Und eigentlich möchte sie auch nichts mehr dazu sagen. Der Schönberger Marktplatz ist menschenleer. Nur hin und wieder eilt jemand ins nächste Geschäft. Kaum zu glauben, dass hier im September 150 Menschen gegen Preller demonstrierten, allen voran Hans-Peter Aurich, der Kopf der Heinze-Fraktion und ein Mann mit eigener Stasi-Vergangenheit. Das Magazin "Spiegel" enttarnte den 73-Jährigen als IM "Reinhard Kusitzki". Aurich, früher SED-Mitglied, heute Mitglied der Linken, leitete einst das Krankenhaus des Ortes, wo er auch Grenzopfer operierte. Heute kämpft er für Heinze. Einer traut sich dann doch, offen auszusprechen, was die Mehrheit denkt: "Heinzes Stasi-Vergangenheit interessiert mich nicht", sagt Helmut Politt. "Der Mann hat viel für Schönberg getan. Ich hoffe, er ist bald wieder im Amt." Der 58-Jährige lebt seit jeher in Schönberg. Eigenhändig habe er die Mauer in Berlin damals aufgebaut. Heute ist der gelernte Maurer Frührentner, sein Rücken von der schweren Arbeit kaputt. Reisen könne er 20 Jahre nach dem Mauerfall immer noch nicht. Dafür fehle ihm das Geld, sagt er.

Selbst diejenigen, die Heinze nicht wiederhaben wollen, stehen nicht zwangsläufig auf Prellers Seite. Preller gilt als Sonderling. Viele fühlen sich durch seine Aktion mit der Mauer provoziert, sogar beleidigt. Noch bevor die Gedenkmauer am 13. August überhaupt eingeweiht war, hatten Bürger das Landratsamt alarmiert. Wenig später fuhr ein Mann vom Bauamt vor. Statiker erschienen. Preller bekam Auflagen. Ein Absperrgitter wurde aufgestellt. Fußgänger mussten die andere Straßenseite benutzen. Die Anwohner waren nur noch mehr genervt.

Die Heinze-Unterstützer veranstalteten einen Protestmarsch. Einige drohten Preller. Aus Angst installierte er eine Überwachungskamera. Mit der filmte er, wie fünf Vermummte nachts mit Hämmern auf die Mauer eingeschlagen und Pflanzkübel umgerissen haben. In einer anderen Nacht wurden Bananen geworfen, nachdem eine Schönbergerin im Leserbrief der Lokalzeitung dazu aufgefordert hatte.

Preller will sich nicht einschüchtern lassen. Seine Mauer schickt er nun auf Reisen. Bis zum 50. Jahrestag des Mauerbaus im August 2011 sollen 16 Künstler aus 16 Bundesländern deutsch-deutsche Grenzen ausloten. "Auferstanden aus Ruinen - Projekt Deutsche Einheit" heißt sein neues Projekt. Sein Ziel: die Mauern wahrhaft abzubauen.