Ihre Scheidung nach 26 Jahren Ehe ist für die Hannoveranerin offenbar kein Hindernis bei der Wahl an die EKD-Spitze. Morgen fällt die Entscheidung.

Hannover/Ulm. Zwar haben die Protestanten keinen Papst, dafür aber "Mister EKD", den Berliner Bischof Wolfgang Huber, der die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) zu grundlegenden Reformen bewogen und ihre Wahrnehmung in der Öffentlichkeit geschärft hat. Über die Nachfolge des 67-Jährigen an der EKD-Spitze entscheidet das Kirchenparlament morgen in Ulm. Als Favoritin gilt Hannovers Landesbischöfin Margot Käßmann - sie ist wie Huber ein Aushängeschild der Protestanten und versteht es mediengewandt, den Anliegen der Kirche in Gesellschaft und Politik Gehör zu verschaffen.

Die beliebte Bischöfin hat das Format, um in Hubers große Fußstapfen zu treten - allerdings ist sie geschieden. Was bei einer Karriere in Wirtschaft oder Politik kein Thema ist, wirft in der Kirche wegen der besonderen Bedeutung von Ehe und Familie Fragen auf. Zwar ist eine Scheidung für einen evangelischen Pastor inzwischen nicht mehr zwingend mit disziplinarischen Folgen verbunden - eine Bischöfin im Amte, die sich trennen lässt, war vor zwei Jahren dennoch ein Novum.

Wie ihren Mitgliedern räumt die evangelische Kirche auch Pfarrern die Möglichkeit der Scheidung und Wiederheirat ein. Beim Scheitern einer Ehe soll über den Pastor kein moralisches Urteil mehr gefällt werden. Das öffentliche Amt macht eine Scheidung dennoch zu einem sensiblen Thema, und je nach Landeskirche unterschiedlich ist die Versetzung des Betroffenen eher Pflicht oder eher Ausnahme. Im Unterschied zur katholischen Kirche ist die Ehe für Protestanten kein Sakrament. Sie wolle keine Fassade aufrechterhalten, sondern ehrlich und wahrhaftig sein, hatte Käßmann bei ihrer Trennung gesagt - schon seit Längerem gingen sie und ihr Mann damals getrennte Wege.

Als sich die 22 Kandidaten für den Rat der EKD - die Regierung des evangelischen Kirchenapparats - am Sonntagabend dem Kirchenparlament in Ulm vorstellten, sprach Käßmann ihre familiäre Situation erst am Ende an. Das "Geschenk der Ehe" sei ihr genommen und ihre Ehe nach 26 Jahren geschieden worden. Etliche Anwärter auf einen der 14 Sitze im EKD-Rat hatten ihre Vorstellungen gleich mit Einblicken in ihre Kinder- und Enkelkinderschar begonnen.

Ausschlaggebend wird Käßmanns Familienstand bei der Wahl an die EKD-Spitze wohl nicht sein. Vielmehr sucht die Kirche nach einer Persönlichkeit, die die knapp 25 Millionen Protestanten in der Öffentlichkeit repräsentieren und zugleich den Reformkurs fortsetzen kann. Prognosen sagen der seit Jahren schrumpfenden Kirche auch in den kommenden Jahren einen deutlichen Verlust von Mitgliedern und Kirchensteuereinnahmen voraus. Käßmann bekannte sich in Ulm zu dem eingeschlagenen Reformkurs. "Wir müssen im Menschen Sehnsucht nach Glauben wecken", meinte Käßmann. Die Sehnsucht sei da, die Menschen aber sähen den Glauben nicht, analysierte sie die Lage der Kirche.

In einem Punkt wird sich das Leitungsgremium der Protestanten künftig womöglich einen anderen Kurs als unter Bischof Huber wünschen, und zwar, was das Verhältnis der Kirchenführung zur Basis angeht. Etliche der Synodalen kreideten Huber und dem EKD-Rat einen allzu eigenmächtigen Kurs an. Huber räumte in dieser Hinsicht Fehler ein: "Der Rat der EKD und insbesondere sein Vorsitzender haben in den letzten sechs Jahren Fehler gemacht. Manchmal wurden Entscheidungen zu schnell gefällt, Stimmen übergangen, Widerstände unterschätzt." Von der künftigen Ratsspitze wird hier mehr Sensibilität verlangt.