James Turrell präsentiert fantastische Räume, er zeigt die Welt des Lichts. Es kann zu sonderbaren Reaktionen des Körpers kommen.

Wolfsburg. Der Himmel über dem Wolfsburger Kunstmuseum ist metallisch-grau, halbwegs hell höchstens. Herbstliche Tristesse trifft auf niedersächsische Provinz-Fußgängerzone. Im Inneren dieses Glaskastens jedoch ziehen verführerisch leuchtende Farben in ihren Bann. Ein sanftes Blau, ein wattigweiches Magenta.

"Wer sich nach Licht sehnt, ist nicht lichtlos. Denn die Sehnsucht ist schon Licht!", hat die Dichterin Bettina von Arnim 1840 geschrieben. Der Lichtkünstler James Turrell, 1943 in Los Angeles geboren, ist süchtig nach dem Anblick von Licht in seiner reinsten, poetischsten Form. Er besucht, wenn es sein muss, die entlegensten Winkel der Welt, um es zu erleben, um es in durchdachten Bauwerken einzufangen, dadurch zu erleuchten und erleuchtet zu werden. "Mit den Augen fühlen", nennt er das.

Um ihn zu verstehen, muss man zunächst wissen, in welchen Dimensionen Turrell seine Kunst überhaupt denkt. Vor mehr als 30 Jahren hat er bei einem Flug über die Wüste Arizonas Roden Crater entdeckt, einen 150 Meter hohen Krater. Er kaufte ein Areal von der Größe Manhattans mit der Hilfe reicher Bewunderer und verwandelt den erloschenen Vulkan seitdem in einen Licht-Dom riesigen Ausmaßes, um in mathematisch exakt konstruierten "Skyspaces", die den Krater durchziehen, den Sternen beim Leuchten zuzusehen. Es gibt dort einen 340 Meter langen und vier Meter breiten Tunnel, für den 1,2 Millionen Kubikmeter Magma und Gestein abgetragen wurden.

Die globale Finanzkrise zwang Turrell zu einer neunmonatigen Pause, ab November soll es aber weitergehen. Der Vollendungstermin: irgendwann. Ist das Größenwahn oder nur Konsequenz? Stockhausen hat fast ein Leben lang an seinem Opernzyklus gearbeitet, der bestimmt nicht zufällig "LICHT" hieß. Sammler, die ein Werk von Turrell erwerben, bekommen zunächst nur einen Skizzenordner. "Sie besitzen das Licht, das durch die Werke hindurchfällt", nennt Turrell das. Ein Schweizer Turrell-Sammler hat auf seinem argentinischen Weingut auf 2300 Meter Höhe ein Turrell-Museum gebaut. Wer dort war, schwärmt von nahezu mystischen Erlebnissen. Man kommt als anderer Mensch von dort wieder, war in den Pilger-Berichten zu lesen.

Und nun sitzt Turrell im Wolfsburger Kunstmuseum vor TV-Scheinwerfern und Kamera-Blitzlichtern, entspannt lächelnd. Grauer Rauschebart, eine Statur wie Santa Claus und eine alttestamentarisch sonore Stimme. "The Wolfsburg Project" wird morgen eröffnet, eine Ausstellung, für die das Wolfsburger Kunstmuseum in sechswöchiger Bauzeit das größte Turrell-Kunstwerk errichtet hat, das bislang in einem deutschen Museum gezeigt wurde: Elf Meter hoch ist "Bridget's Bardo", ein Raum aus farbigem Licht. Mehr als vier Besucher werden diesen Raum mit einer Grundfläche von 700 Quadratmetern nicht gleichzeitig betreten dürfen. Sie werden andächtig über eine steile Rampe in einen scheinbar immer dichter werdenden Nebel aus Farbe hinabwandern, in einen sogenannten "Ganzfeld"-Raum. Bis zu einer gewissen Linie darf man gehen, dann kommt die Warnung einer Ordner-Stimme. Früher oder später verlieren Menschen in einem solchen "Ganzfeld"-Raum die Bodenhaftung, sagen Wahrnehmungspsychologen. Es kann zu sonderbaren Reaktionen des Körpers kommen, zu Gleichgewichtsstörungen, womöglich auch dazu, dass man Farben sieht, die von den mehr als 30.000 LED-Lampen trotz der 65.000 möglichen Helligkeitsabstufungen nicht produziert werden. Die wären reine Einbildung.

Diese Farben kommen tatsächlich; nach einigen Minuten meldet sich ein pulsierendes Orange im Blickfeld. Man steht erschüttert und euphorisch vom Rausch des Sehsinns vor einem unendlichen Leuchten. Die Füße berühren noch den Boden, der Rest scheint zu schweben. In einer anderen Installation formt Turrell Vorhänge aus Licht. Im stockfinsteren "Wedgework Piece" schwebt hinter diesen Nebelwänden eine rote Fläche, deren Ränder umso mehr flimmern und flackern, je mehr sich das Auge an das Gebotene anpasst. Realität und Farben verschwimmen. Bei einer Ausstellung in New York hat eine Frau einen Turrell-Lichtvorhang für eine reale Wand gehalten, wollte sich abstützen, brach sich bei dem Sturz das Handgelenk und verklagte Turrell wegen Fahrlässigkeit am Kunstwerk. Der Prozess dauerte drei Jahre und endete mit einem Vergleich, nachdem der Ehemann auch noch Schadenersatz dafür haben wollte, dass seine Frau wegen des gebrochenen Handgelenks ihren "ehelichen Pflichten" nicht mehr nachkommen konnte. Seitdem, so berichtet Turrell mit dröhnendem Weihnachtsmannslachen, würde er eine begehbare Arbeit wie "Bridget's Bardo" nicht mehr in den klagewütigen USA zeigen wollen. Zu riskant. Und auf die Frage nach seiner Lieblingsfarbe hat Turrell eine entwaffnende Gegenfrage parat: "Haben Sie einen Lieblingston? Man braucht alle. Ich verwende alle Farben."

Beim Verlassen des Museums wirkt der Herbsthimmel über Wolfsburg viel sympathischer als vorher. Sanft leuchtend. Schön.

James Turrell "The Wolfsburg Project" , bis 5. April 2010. www.kunstmuseum-wolfsburg.de