Sie weint, die Stimme bricht, dann holt Mechthild B. tief Luft und spricht im Schwurgerichtssaal die Staatsanwältin an: “Warum sollte ich den Tod der Menschen, die mir ihr Vertrauen geschenkt hatten, bewusst herbeiführen?“

Hannover. Im ersten Prozess wegen achtfachen Totschlags hat die angeklagte Krebsärztin geschwiegen, gestern zum Auftakt des neuen Verfahrens, jetzt sogar wegen 13-fachen Totschlags, hat sie sich nachdrücklich gewehrt: "Ich werde zu Unrecht beschuldigt."

Alle 13 Namen ihrer verstorbenen Patienten zählt sie auf, die vielen Krebserkrankungen, Metastasen, Herzleiden: "Jeder von diesen Patienten befand sich in seiner letzten Lebensphase." Und jeder, so fügt sie hinzu, habe das Recht gehabt, "seinen letzten Lebensabschnitt in Würde und angstfrei zu erleben".

Dafür wiederum sollten Morphium und Valium sorgen, die die Belegärztin an der Paracelsus-Klinik in Hannover Langenhagen so oft verordnete, dass die AOK im Sommer 2003 Strafanzeige erstattete. Die Staatsanwaltschaft ermittelte und erhob 2005 Anklage wegen achtfachen Totschlags. Anfang 2008 dann begann der erste Prozess, der nach über 20 Verhandlungstagen wegen der schweren Erkrankung eines Richters platzte.

Gestern nun der zweite Anlauf, andere Richter, aber von der Anklage wieder nur die Feststellung, in den Jahren 2001 bis 2003 habe die Angeklagte 13 Menschen vorsätzlich getötet mit Medikamentenverordnungen "entgegen den Regeln der ärztlichen Kunst". Zu Motiven sagte Oberstaatsanwältin Regina Dietzel-Gropp nichts bei Verlesung der Anklageschrift.

Über 20 Jahre lang hat die Angeklagte an der Klinik gearbeitet, erst als Oberärztin, dann als Belegärztin auf der Krebsstation. Hierher kamen häufig auch schwerstkranke Patienten aus größeren Kliniken, die dort als "austherapiert" galten - man sah keine Heilungschancen mehr. Zum ärztlichen Handeln, so beschrieb es die Angeklagte gestern, gehöre es nicht nur, Hoffnung und Zuversicht zu geben, sondern auch, "nicht mehr zu verändernde Wahrheiten zu akzeptieren". Aber sie ist sich auch sicher: "Der Todeseintritt wurde durch keine meiner veranlassten Maßnahmen verursacht oder beschleunigt."

Ob das so war, darüber werden in den kommenden ein bis zwei Jahren vor allem die beiden Hauptgutachter Prof. Michael Zenz aufseiten der Anklage und Prof. Rafael Dudziak aufseiten der Verteidigung streiten wie schon im ersten Prozess. Verteidiger Matthias Waldraff griff gestern Zenz, auf dessen Gutachten die Anklage weitgehend fußt, scharf an. Der habe erst nach weit über fünf Jahren das letzte von 13 Gutachten vorgelegt und sei damit ebenso wie die Staatsanwaltschaft verantwortlich für eine verfassungswidrig lange Dauer des Verfahrens. Waldraffs Vorwurf an Zenz geht aber noch weiter: "Er lässt Neutralität und Objektivität vermissen." Nun will die Verteidigung Zenz und die Staatsanwältin als Zeugen hören darüber, warum die Gutachten so spät fertig wurden. Als es um Zenz ging, machten einige Zuhörer deutlich, dass sie dessen Verhalten unmöglich finden. Anhänger der Ärztin hatten sich eingefunden, auf Plakaten plädierten sie vor dem Gericht für humanes Sterben.

Über solche Sympathiekundgebungen kann Irma Romahn nur den Kopf schütteln. Sie ist Nebenklägerin und sich sicher, dass ihre damals 80-jährige Mutter nicht sterben wollte und auch nicht todkrank war. Zur Einlassung der Angeklagten sagt sie: "Das ging mir durch und durch." Für sie als Tochter sei die Krebsärztin damals nicht zu sprechen gewesen.