Chat-Betreiber sollen über Firmengeflecht 700.000 Handy-Kunden um insgesamt 46 Millionen Euro betrogen haben.

Kiel. Hunderttausende Menschen suchten per SMS-Chat ihren Traumpartner, doch sie wurden abgezockt: Über ein Firmengeflecht von 350 Unternehmen im In- und Ausland sollen die Chat-Betreiber ihre Kunden um etwas mehr als 46 Millionen Euro betrogen haben. Seit Donnerstag stehen deswegen drei mutmaßliche Betrüger und drei Strohmänner vor dem Kieler Landgericht.

Bundesweit sollen sie rund 700.000 Handy-Nutzer geschädigt haben. Die Anklage wirft ihnen gemeinschaftlichen gewerbsmäßigen Bandenbetrug oder Beihilfe dazu vor. Die sechs Hauptangeklagten, jeweils eingerahmt von zwei Verteidigern, schwiegen am ersten Prozesstag zur Anklage. Stattdessen bombardierten ihre Anwälte das Gericht über Stunden mit Anträgen.

Die Staatsanwältinnen Maya Schönfeld und Frauke Jaeschke sehen drei Angeklagte als Drahtzieher. Sie werfen ihnen vor, von Flensburg und Kiel aus mit dem Firmengeflecht die Kunden getäuscht zu haben.

Im Kern geht es in dem Verfahren darum, ob die Kunden vorsätzlich über die fiktive Identität ihrer Chat-Partner getäuscht wurden - das wäre laut Anklage Betrug. Oder hätten sie wissen müssen, dass der Chat-Partner am anderen Ende gar nicht existiert, sondern kostenpflichtige Dienstleistungen bietet?

Die Staatsanwältinnen schilderten 45 Minuten lang, wie das Betrugs-System funktioniert haben soll. Die Kunden seien durch Anzeigen in kleinen Lokalzeitungen, Lock-Mails oder massenhaft verschickte SMS-Spam dazu verleitet worden, über teure Kurzwahl- Rufnummern mit möglichen Partnern im Chat zu flirten. Die Anklage nannte die Namen von 53 Geschädigten. Kleinster Schaden 199 Euro - der größte 25 115,79 Euro, die eine Frau für 12 621 SMS gezahlt haben soll.

Den Kunden antworteten aber keine realen Partner, sondern gut geschulte, professionelle Animateure mit fiktiven Identitäten. Die wurden überwacht und mit Prämien belohnt, wenn sie das erklärte Geschäftsziel erreichten: "Die Kunden zum Versenden möglichst vieler kostenpflichtiger SMS zu verleiten", so die Anklage. Pro SMS an die Kurzwahl-Nummern wurden 1,99 Euro fällig.

Aufgabe der Animateure: "Den Kunden dazu bringen, sich zu verlieben und hierdurch eine möglichst rege und lang andauernde Kommunikation zu erreichen", erklärten die Staatsanwältinnen. Dazu vereinbarten die Animateure mehrfach sogar richtige Treffen. Die Kunden haben vergeblich am Treffpunkt gewartet.

Die großen Netzbetreiber kassierten laut Anklage zwischen 0,50 Euro und 1,10 Euro pro SMS. Sie hätten auch den Kunden die gesendeten SMS in Rechnung gestellt, ihren Anteil einbehalten und den Rest an die Betreiber überwiesen. "Die sind nicht angeklagt", meinte lakonisch einer der zwölf Verteidiger.

Die Verteidiger versuchten vergeblich, unter anderem die Einstellung des Verfahrens zu erreichen. Sie kritisierten besonders, dass die Staatsanwaltschaft in der Anklage nur 53 Geschädigte genannt habe, zu den weiteren Fakten aber keine Angaben mache.

Die Verhandlung soll am Donnerstag fortgesetzt werden. In einem weiteren Verfahren müssen sich demnächst vier andere Angeklagte verantworten. Gegen mehr als 200 Beschuldigte laufen Ermittlungen.