Die Wahrscheinlichkeit, auf dem Land bei Verkehrsunfällen zu sterben, ist dreimal so hoch wie in der Großstadt.

Am Anfang war das Klischee: Die Stadt ist gefährlich. Die vielen Autos, der dichte Verkehr. Die Wahrscheinlichkeit, hier bei einem Unfall schwer verletzt zu werden, gar zu sterben, muss höher sein als auf dem Lande. Weit gefehlt. Forscher der Technischen Universität Dortmund haben nun genau das Gegenteil nachgewiesen. Gemessen an der Bevölkerungszahl sterben im Umland bis zu dreimal so viele Menschen bei Unfällen wie in Großstädten.

Als Faustformel lässt sich festhalten: Je dünner besiedelt die Ortschaft, desto relativ mehr Menschen sterben bei Verkehrsunfällen. Auch das Risiko einer schweren Verletzung ist in ländlichen Kreisen um rund 70 bis 100 Prozent höher als in Metropolen.

Bei der Studie haben die Verkehrsforscher der Universität erstmals die Wohnorte der Verunglückten analysiert und nicht die Unfallorte. "Wir wollten herausfinden, wie sicher es an den Wohnorten ist", begründet Verkehrsforscher Joachim Scheiner die Methodik. In die herkömmliche Verkehrsstatistik wird lediglich der Ort aufgenommen. Dies würde aber das Ergebnis verfälschen. So verunfallen eben auch Städter auf dem Land und umgekehrt. Ein Beispiel: Das Verhältnis von Unfalltoten zwischen Stadt und Land nach Wohnorten ist vier zu elf, nach Unfallort vier zu 18. Diese Zahlen beziehen sich auf je 100 000 Einwohner.

Mit der jüngsten Untersuchung werden die Ergebnisse genauer. Doch auch die herkömmliche Erfassung zeigt den Trend klar auf. Wie aus der Abendblatt-Tabelle hervorgeht, starben in Hamburg im vergangenen Jahr gut zwei Menschen pro 100 000 Einwohner. Im Landkreis Stade hingegen gut zwölf. Ursache dafür sind die schweren Unfälle auf der B 73.

Hochnäsige Städter könnten nun behaupten, sie hätten es ja immer gewusst, dass in der Provinz ein schlechter Fahrstil gepflegt werde. Dem ist aber nicht so. Der Grund für die Gefährlichkeit in der Provinz liegt bei den Landstraßen. "Dort wird schneller gefahren und riskanter überholt", sagt Verkehrsforscher Scheiner. Die größere Unsicherheit im Straßenverkehr gelte für alle Altersgruppen. Bei schweren Unfällen sei nicht nur der Fahrer betroffen, sondern jeder, der im Wagen sitzt.

Das Risiko, überhaupt in einen Unfall verwickelt zu werden, ist in der Großstadt allerdings höher. "Aber da dort nur Tempo 50 erlaubt ist, sind auch die Folgen nicht so schwerwiegend." Die hohe Gesamtzahl der städtischen Unfallopfer ergebe sich vor allem aus vielen nur leicht verletzten Menschen.

Ein weiterer Grund für die höhere Sicherheit der Stadt ist der Grad der Motorisierung. Auffällig ist die Gruppe der 18- bis 25-Jährigen. In dünn besiedelten Gebieten haben bereits 48 Prozent der 18- und 19-Jährigen ein eigenes Auto. In der Stadt sind es lediglich 24 Prozent. Und selbst im Alter von 22 und 23 geht die Schere zwischen Land und Stadt weit auseinander: 76 zu 49 Prozent. Der Grund für diesen Unterschied ist naheliegend. In der Provinz ist der öffentliche Nahverkehr nicht annähernd so gut ausgebaut wie in der Stadt. Und genau diese Gruppe der jungen Fahrer ist wegen fehlender Erfahrung überproportional an Unfällen beteiligt.

Die Forscher der TU Dortmund haben ihre Studie im Auftrag des Bundesforschungsministeriums durchgeführt. Das Ziel war, Empfehlungen zu geben, wo Familien leben sollten. Das Fazit von Verkehrsforscher Joachim Scheiner ist eindeutig: "Wer für seine Kinder ein sicheres Verkehrsumfeld sucht, der zieht besser in die Stadt."