Ministerium und Helmholtz-Forschungszentrum sprechen von einem “Übertragungsfehler“, ein grüner Politiker von einem “Skandal“.

Hamburg. Seit 1978 kämpft Peter Dickel (54) gegen die marode Schachtanlage Asse II als Atommülllager. Was in welchen Mengen dort strahlt? Er könne gar nicht mehr zählen, wie oft darüber unterschiedliche Angaben gemacht worden seien. "Angesichts der vielen Lügen und Verdrehungen kann ich mich kaum noch darüber aufregen", sagt der Sprecher der Arbeitsgemeinschaft Schacht Konrad.

Doch der aktuelle Fall macht auch ihn fassungslos. Wie jetzt herauskam, ist die Menge des in der Asse lagernden, hoch giftigen Plutoniums dreimal höher als bisher angegeben. Wie das Bundesumweltministerium mitteilt, befinden sich in dem Bergwerk 28 Kilogramm Plutonium - zuvor war nur von 9,6 Kilogramm die Rede.

Das Helmholtz Zentrum München, der frühere Betreiber der Asse, hatte nach einer Überprüfung die korrigierten Zahlen an das aktuell für Asse zuständige Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) weitergegeben.

Offenbar beruhe die alte Mengenangabe auf einem "Übertragungsfehler" zwischen einer Abteilung des Forschungszentrums Karlsruhe und der damals zuständigen Gesellschaft für Strahlenforschung, heißt es vom Bundesumweltministerium. Bereits am 7. August hatte indes Jürgen Schubert, einst Abteilungsleiter und Strahlenschutzexperte beim Landesbergamt, vor dem Untersuchungsausschuss des niedersächsischen Landtags die Menge an Plutonium in der Asse mit "rund 25 Kilogramm" angegeben.

Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD), der das Festhalten am Atom-Ausstieg zum Wahlkampfthema gemacht hatte, sagte: "Es ist unglaublich, dass man bei einem so gefährlichen Stoff wie Plutonium einfach in der Mengenangabe irrt."

Einmal mehr werde deutlich, dass man sich nicht auf die Angaben zum Asse-Inventar verlassen könne. "Umso wichtiger ist es, dass das Bundesamt für Strahlenschutz als neuer Betreiber das gesamte Inventar neu bewertet. Denn das ist von großer Bedeutung für das Stilllegungskonzept."

Im Zusammenhang mit den neuen Erkenntnissen sprach der Landtagsfraktionschef der Grünen, Stefan Wenzel, von einem "Skandal". Er halte es sogar für denkbar, dass bis zu 84 Kilogramm Plutonium in der Asse lagerten, sagte Wenzel der Deutschen Presseagentur. Gleichzeitig warf er dem niedersächsischen Umweltminister Hans-Heinrich Sander (FDP) schwere Versäumnisse vor: Das Ministerium hätte von den 28 Kilogramm Plutonium wissen müssen. "Wenn nicht, ist in massiver Form geschlampt worden." Das Ministerium wies die Vorwürfe zurück. In der Schachtanlage Asse II, die durch stetige Laugenzuflüsse einsturzgefährdet ist, liegen 126 000 Fässer mit schwach und mittelstark strahlendem Atommüll. Das Plutonium, das in geringsten Mengen Krebs auslöst, verteilt sich auf Tausende Fässer. Pro Fass sind maximal 15 Gramm des Elements erlaubt.

Auch wenn seit März mit Hans-Albert Lennartz ein Grüner beim Bundesamt für Strahlenschutz Chef der Asse ist - Anti-Atomkraft-Aktivist Dickel bleibt skeptisch: "Der Atommüll ist in grünen Händen, und plötzlich wird alles gut? Das glaube ich nicht."