Das Gefängnis bleibt einem alten Mann erspart. Dabei wollte er seine eigene Frau töten, und beinahe wäre es ihm gelungen.

Wären die Umstände der Tat nicht so tragisch, hätte das Gericht keine verminderte Schuldfähigkeit erkannt und seine Frau die Attacke nicht überlebt - der 75-jährige Rentner, der am Donnerstag vor dem Landgericht Hildesheim wegen versuchten Totschlags stand, wäre wohl für einige Jahre hinter Gitter gegangen.

Doch das Gericht ließ Milde walten. Der Vorsitzende Richter Ulrich Pohl verurteilte den Angeklagten zu einer Haftstrafe von zwei Jahren auf Bewährung und einer Geldstrafe in Höhe von 8000 Euro.

Nur mit einem Rollator hatte es der greise, grau gekleidete Mann in den Gerichtssaal geschafft. Gegenüber der Polizei hatte sich der Rentner damals umfassend zur Tat geäußert. Doch vor Gericht bringt er aus Scham kein Geständnis über die Lippen.

Der 75-Jährige wollte seine bettlägerige Frau töten. Weil er selbst krank geworden war. Weil er sich mit ihrer Pflege zunehmend überfordert fühlte. 55 Jahre war er mit ihr verheiratet, und so, wie es Zeugen erzählen, war die Ehe glücklich. Vor fast 70 Jahren hatten sie sich in der Schule kennengelernt, in Schlesien. Der Angeklagte strahlt, als er davon erzählt. Es war die große Liebe. "Wir wollten uns gegenseitig pflegen bis zum Sterben."

Die Probleme beginnen Mitte 2005, als seine 77-jährige Frau einen Hirnschlag erleidet. Sie wird bettlägerig, verliert die Sprache komplett. Das Schweigen seiner Frau. Die Stille. Das macht dem betagten Mann am meisten zu schaffen.

Doch er will sich nicht beklagen. Abgesehen von seiner Schwiegertochter und dem Pflegedienst mag er keine Hilfe Dritter annehmen. Tagsüber kümmert er sich allein um sie. "Geht schon, geht schon", sagt er immer.

Die Pflege funktioniert, solange es ihm gut geht. Als er am Herzen erkrankt und die Schwiegertochter das Haus verlässt, ahnt der Rentner: Allein schafft er es nicht, wird auf Dauer seine Frau nicht pflegen können. Doch in die Obhut eines Heims will er sie auf keinen Fall geben. Da trifft der 75-Jährige eine Entscheidung.

In der Nacht zum 16. Januar, gegen 3 Uhr, steht er auf - wie immer, wenn er seine Frau umbettet. Doch diesmal drückt er ihr ein Kissen aufs Gesicht, eine Stunde lang. Legt mit einem Küchenmesser ihre Halsschlagader frei, versucht sich dann das Leben zu nehmen. Stunden später findet eine Pflegerin das Paar. "Es war purer Zufall, dass sie überlebt hat", sagt ein Gerichtsmediziner.

Dass der Angeklagte seine Frau geliebt und sich aufopferungsvoll um sie gekümmert hat - das bezweifelt das Gericht nicht. Die Kammer erkennt an, dass sich der Rentner in einer extremen Ausnahmesituation befunden hat, setzt jedoch die Geldstrafe mit 8000 Euro sogar um 5500 Euro höher an, als Staatsanwalt Gerhard Kreutz beantragt hat. "Es war eine Verzweiflungstat", sagt Richter Pohl.

Der 75-jährige Senior nimmt das Urteil ernst an. Es gibt keinen Grund, fröhlich zu sein - seine Frau ist tot. Sie starb im April eines natürlichen Todes.