Der Regierungschef erwägt die Entlassung der vier Sozialdemokraten im Kabinett. Er räumte zugleich eine Falschaussage in der HSH-Bonus-Affäre ein.

Kiel. Ministerpräsident Peter Harry Carstensen (CDU) hat den Weg zu Neuwahlen in Schleswig-Holstein abgesteckt. "Ich werde wahrscheinlich die Vertrauensfrage stellen, falls die SPD am Montag die Selbstauflösung des Landtags verhindert", sagte der Regierungschef gestern Abend in Kiel. Carstensen räumte zugleich eine Falschaussage in der HSH-Bonus-Affäre ein.



"Die SPD hat es in der Hand, den Landtag am Montag aufzulösen", sagte Carstensen. Das wäre der sauberste und ehrlichste Weg zu Neuwahlen. SPD-Partei- und Fraktionsschef Ralf Stegner hat diese Variante am Wochenende nochmals ausgeschlossen. Er forderte Carstensen stattdessen zum Rücktritt auf. "Das wäre die sauberste Lösung."


Carstensen lehnte einen Rücktritt ab, sagte dafür erstmals offen, dass er notfalls über eine Vertrauensfrage den Landtag auflösen und zu Neuwahlen kommen möchte. Er werde den Antrag falls nötig noch am Montag stellen, kündigte er an.


Nach der Vertrauensfrage will Carstensen entscheiden, ob er die vier SPD-Minister entlässt. "Das überlege ich danach." Ein Rauswurf würde die SPD ins Mark treffen. Sie müsste im Wahlkampf ohne Schützenhilfe aus der Regierung auskommen.


Der Ministerpräsident nutzte gestern im Landeshaus die Gelegenheit, um nebenbei eine Falschaussage in der HSH-Bonus-Affäre öffentlich zu korrigieren. Die Behauptung, dass die Spitzen der Regierungsfraktionen ihr Einverständnis zu den Sonderzahlungen an HSH-Chef Dirk Jens Nonnenmacher gegeben hätten, "ist nicht richtig gewesen", stellte Carstensen klar. Er sei mit der "Formulierung vielleicht etwas flott umgegangen".


Carstensen hatte am 10. Juli in einem Brief an Landtagspräsident Martin Kayenburg (CDU) behauptet, dass die Sonderzahlungen in Höhe von 2,9 Millionen Euro an Nonnenmacher "mit vorherigem Einverständnis der Spitzen der Landesregierungen in Hamburg und Schleswig-Holstein und der Spitzen der die Regierungen tragenden Fraktionen" auf den Weg gebracht worden seien. Letzteres hatte CDU-Fraktionschef Johann Wadephul, wie berichtet, bereits am Dienstag bestritten.


Stegner bekräftigte das für die SPD-Fraktion und behauptete zugleich, dass die SPD insgesamt den Zahlungen nicht zugestimmt habe. Fakt ist, dass Innenminister Lothar Hay (SPD) über den Vorgang informiert war und keinen Protest signalisiert hatte. Auch sonst habe es keinen offenen Widerspruch aus der SPD gegeben, meinte Carstensen. Er sieht darin eine Zustimmung zu den Sonderzahlungen. Stegner bestreitet das, sieht Carstensen als Lügner und will den "Bonus-Skandal" zum Thema im Wahlkampf machen.


Jenseits des Streits darüber, wer die Schuld am Bruch der Großen Koalition trägt, bereiten sich alle Parteien auf Neuwahlen am 27. September vor. Die CDU will ihr Wahlprogramm auf einer Sitzung des Landesvorstands am 25. August unter Dach und Fach bringen. Die Landesliste wurde bereits im Mai aufgestellt.


Die SPD, die eigentlich erst im November Nägel mit Köpfen machen wollte, zieht ihren Landesparteitag auf Ende Juli vor, um in den Sommerferien auf die Schnelle Personal und Programm abzusegnen. Eiskalt erwischt wurden auch die Grünen. Sie wollen Mitte August in Neumünster tagen.


FDP und SSW sind bereits durch, für viele kleine Parteien wird es allerdings eng. "Wir sind gehörig unter Druck geraten", sagte der Parteichef der Freien Wähler Schleswig-Holstein, Malte Tech. Seine Partei muss in einem Monat nicht nur die Kandidatenliste vorlegen, sondern für die Wahlteilnahme auch 500 Unterschriften sammeln.

Die wahlentscheidenden Themen

Die wahlentscheidenden Themen Wirtschaft und Arbeitsmarkt sowie die Schulpolitik und Kitas - das sind die wahlentscheidenden Themen in Schleswig-Holstein. Wie eine Umfrage des Psephos-Instituts im Auftrag des Hamburger Abendblatts ergab, wollen 78 Prozent der Wahlberechtigten ihre Stimmabgabe von der Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik abhängig machen. Auf den Plätzen folgen die Themen Schule/Kitas (67 Prozent), Finanzen (52 Prozent), Soziales (50 Prozent) und Energiepolitik (47 Prozent). Diese Reihenfolge der Prioritäten gilt über die Parteigrenzen hinweg. Den Themen Wirtschaft und Arbeit wird bei den Anhängern von CDU, SPD und FDP die größte Bedeutung beigemessen. Die Anhänger der Grünen halten dies auch zu 78 Prozent für sehr wichtig - noch etwas mehr (82 Prozent) nennen die Schul- und Kitapolitik als wahlentscheidendes Thema. Unterdessen hat der Dauerstreit in der Großen Koalition in Kiel offenbar zur Politikverdrossenheit beigetragen. 45 Prozent der Befragten gaben an, dass dies "sehr" oder "etwas" dazu beigetragen habe. 50 Prozent dagegen zeigten sich unbeeinflusst. Interessantes Detail: Je jünger die Wähler, desto weniger gaben sie an, politikverdrossen zu sein. Psephos befragte am 16. und 17. Juli 672 Wahlberechtigte.