Polizei jagt Raser zwischen Hamburg und Bremen nun auch digital. Fast 100 Verkehrssünder pro Stunde werden erwischt.

Hinter einem kleinen Birkenwäldchen irgendwo an der Autobahn 1 im Landkreis Rotenburg haben Hans Udo Diller (58) und Bernd Schünke (52) ihren grauen Transporter versteckt. Fingerdicke Lichtleiterkabel führen knapp zehn Meter aus dem Heck des VW-Busses an den Fahrbahnrand der Schnellstraße. Dort, wo Sattelzüge, Geländewagen und Familienvans im Sekundentakt vorbeifahren, haben die beiden Beamten der Polizeiinspektion Rotenburg ihre neue Waffe gegen den alltäglichen Verkehrswahnsinn auf der A 1 in Stellung gebracht: das sogenannte Einseitenlichtschrankenmessgerät ESO 3.0. Es ist die wohl modernste mobile Radaranlage, die derzeit in Deutschland in Betrieb ist. Neu: Gemessen wird digital und über alle Spuren der Autobahn hinweg, was bislang nicht möglich war. "Die Messungen sind so genau, die Fotos so gestochen scharf wie nie zuvor", sagt Schünke. Mit einem Finger tippt er auf den Bildschirm im Inneren des Hightech-Busses, zoomt damit das Nummernschild, dann das Gesicht des Fahrers eines soeben geblitzten Wagens heran. 276 Wagen hat die Anlage in nur drei Stunden auf dem Autobahnteilstück, auf dem Tempo 100 gilt, als zu schnell erkannt und den Rotblitz ausgelöst. "Erschreckend", sagt der Polizeikommissar, "schließlich blitzen wir heute nur diejenigen, die mehr als 20 km/h zu schnell fahren." Also alle diejenigen, die bereits mit satten Bußgeldern rechnen müssen. An diesem Tag sind zudem 28 Fahrverbote dabei. Rekord: Ein Audi-Fahrer rast mit 199 km/h an den Beamten vorbei. Auf mehr als 73 Autobahnkilometern ziehen sich derzeit sieben Baustellen wie auf einer Perlenschnur. Und bringen die A 1 immer wieder in die Schlagzeilen. Vier Menschen kamen in den vergangenen Wochen bei Autounfällen zwischen dem Bremer Kreuz und dem Buchholzer Dreieck ums Leben. Zumeist weil Fahrer zu schnell in den verengten Baustellenabschnitten unterwegs sind, sich bei Überholmanövern überschätzen. Oder weil sie auf den "Entspannungsstrecken" zwischen zwei Baustellen Gas geben, dadurch Stauenden nicht erkennen, Auffahrunfälle verursachen. So wie auf dem fünf Kilometer langen Teilstück nahe Kalbe, an dem Diller und Schünke stehen.

"Nach den Erfahrungen aus ähnlichen Bauprojekten hatten wir bereits im Vorwege mit einer Verdopplung der Unfälle gerechnet", sagt Detlev Kaldinski, Sprecher der Polizeiinspektion Rotenburg. Eine Einschätzung, die sich bislang bestätigt hat. Ereigneten sich zwischen Januar und April vergangenen Jahres noch 187 Unfälle auf dem Abschnitt der A 1, waren es 2009 schon 410. Auch wenn - ebenfalls ein Erfahrungswert - die Zahl der Unfälle in den letzten Wochen stetig sank, insbesondere da viele Pendler die Strecke nutzen und sich auf die Baustellen einstellen.

Während die Zahl der Leichtverletzten im gleichen Zeitraum in etwa gleich geblieben ist (von 15 auf 16 gestiegen), verdoppelte sich auch die Zahl der Schwerverletzten von vier auf acht. Tote gab es im Jahr 2008 nicht, in diesem Jahr aber bereits vier. Probleme machen der Polizei zudem die hohe Zahl von Unfallflüchtigen, deren Zahl sich von 28 im ersten Drittel 2008 auf 117 im gleichen Jahresabschnitt 2009 vervierfachte. "Das erhöht unseren Fahndungsdruck enorm", sagt Kaldinski. Auch wenn die meisten Unfälle Bagatellen sind, bei denen der Schaden vielleicht einige Hundert Euro beträgt. Wenn etwa der Seitenspiegel in der engen Ausfahrt touchiert und abgerissen wird.

Vor knapp zwei Wochen noch war die Autobahnpolizei Sittensen eigentlich guten Mutes, Kontrollen hatten einen steten Rückgang der Temposünder ermittelt. Dann kam die ESO 3.0 zum Einsatz, an einem anderen Baustellenabschnitt, und enttäuschte die Hoffnungen der Polizisten jäh. Nicht was die Effizienz des mobilen Blitzers betraf, sondern die Unvernunft der Autofahrer. Zunächst waren es 185 geblitzte Temposünder, einen Tag später die schon benannten 276 Raser. "Wir setzen jetzt auf Abschreckung, um die Geschwindigkeit herunterzubringen", droht Kaldinski, der nicht resigniert. Autofahrer müssten überall mit Radarfallen rechnen. "Wir machen uns unberechenbar!"