Bremer Junge wurde zu Tode gequält und im Kühlschrank versteckt. Fallmanager erhielten Informationen über Misshandlungen.

Bremen. Richter Helmut Kellermann wählte plastische Worte: Es habe einige Situationen gegeben, in denen der Zug in die Katastrophe hätte aufgehalten werden können, sagte er, als er vor einem Jahr das Urteil gegen Bernd K. sprach - den Mann, der in Bremen sein Stiefkind Kevin zu Tode gequält und die Leiche in den Kühlschrank gelegt hatte. Adressiert waren die Worte an die damals zuständigen Mitarbeiter des Jugendamtes, die den Wehrlosen in der Obhut des Täters beließen, obwohl sie oft Nachrichten über Misshandlungen bekamen.

Knapp drei Jahre nach dem Tod des Zweijährigen, scheint es, als würde der Fall ein zweites Mal juristisch aufgearbeitet werden. Das Landgericht Bremen prüft, ob gegen die zuständigen Jugendamtmitarbeiter Hauptverfahren eröffnet werden. Dabei schien es bereits, als solle sich der Fall Kevin in die lange Liste der Fälle einreihen, in denen der Tod behördlich betreuter Kinder für die Beamten (juristisch) folgenlos blieb. Fälle wie der des kleinen Kevin führen höchst selten zu Anklagen gegen Beamte.

24 gebrochene Knochen listeten Gerichtsmediziner auf, als sie den Körper des zu Tode gequälten Jungen obduzierten. Wann genau Kevin starb, ließ sich nicht mehr feststellen. Sicher ist indes, dass der Stiefvater des Jungen den Körper in Müllsäcke legte und die Säcke dann in den Kühlschrank seiner Wohnung tat. Dort lagen sie geschätzte dreieinhalb Monate. Der drogenabhängige Stiefvater lebte weiter, als sei nichts geschehen. Die Mutter des Jungen war bereits im Jahr 2005 gestorben. Richter Kellermann verurteilte Bernd K. (44) zu zehn Jahren Haft wegen Körperverletzung mit Todesfolge und Misshandlung Schutzbefohlener. Nicht wegen Mordes, auch nicht wegen Totschlags.

Nun also wieder Ermittlungen: Binnen dreier Monate soll die zuständige Kammer entscheiden, ob strafrechtliche Hauptverfahren eingeleitet werden - ob es also zum Prozess gegen den damaligen Fallmanager des Bremer Jugendamtes und gegen Kevins amtlichen Vormund kommen wird. Die Staatsanwaltschaft Bremen hatte Anzeige wegen des Verdachts der fahrlässigen Tötung durch Unterlassen eingereicht, wie Sprecher Jörn Hauschild bestätigt. Im Jahr 2007, als die Klage an das Gericht übergeben wurde, gab es nach Recherchen seiner Behörde bundesweit nur einen ähnlich gelagerten Fall, in dem es zur Hauptverhandlung gekommen sei: In den 90er-Jahren war eine Stuttgarter Beamtin wegen fahrlässiger Tötung verurteilt worden. Ein Pflegekind war in der von ihr vermittelten Familie durch Misshandlungen gestorben.

Ermittlungen hat es seitdem an anderer Stelle allerdings gegeben: im Fall der verhungerten Lea-Sophie aus Schwerin zum Beispiel, deren Eltern ebenfalls von örtlichen Ämtern betreut wurden. Ihr Tod veranlasste Familienministerin Ursula von der Leyen (CDU) zu einem neuen Kinderschutzgesetz, das sich noch in der Abstimmung befindet. Darin sollen Behörden verpflichtet werden, bei jedem Verdacht auf Kindesmisshandlung "das gefährdete Kind und dessen Umfeld in Augenschein zu nehmen". Nur in Einzelfällen dürfen Ämter auf einen solchen Hausbesuch verzichten.

Kinder wie Kevin, Lea-Sophie, die 2005 in Jenfeld verhungerte Jessica oder die jüngst in Wilhelmsburg zu Tode gekommene Lara könnten, so die Hoffnung der Politiker, durch neue gesetzliche Regelungen aus ihrem Elend gerettet werden. Kinderschützer kritisierten von der Leyens Pläne jedoch: Wichtiger sei es für Jugendamtmitarbeiter, das Vertrauen der jeweiligen Familien zu gewinnen. Das allerdings kostet Zeit -und die ist gerade in großstädtischen Jugendämtern knapp. Sollte es im Falle Kevin zu einem Strafprozess kommen, darauf weist der Bremer Gerichtssprecher hin, werde es nur um die persönliche Schuld der Angeklagten gehen, nicht um das mögliche strukturelle Versagen des Amtes.