Mit der Wiedereröffnung des Museums hat das Künstlerdorf bei Bremen den ersten wichtigen Meilenstein zur Modernisierung geschafft.

Worpswede. Die Museumsbesucher auf dem Foto von Thomas Struth (Titel: "Audience 06") machen es vor: Sie tragen flache Sandalen oder Turnschuhe. Auch in der Großen Kunstschau Worpswede, wo das Foto gezeigt wird, sind an diesem Wochenende spitze Absätze verpönt, denn der Boden ist frisch versiegelt, er wurde erst in der Nacht zum Sonnabend freigegeben.

Mit der Wiedereröffnung des Museums, dessen Ausstellungsfläche von 500 auf 800 Quadratmeter erweitert wurde, hat das Künstlerdorf bei Bremen den ersten wichtigen Meilenstein geschafft. Mit dem groß angelegten Masterplan Worpswede soll die Museumslandschaft in der 9500-Einwohner-Gemeinde umfassend modernisiert werden. 9,3 Millionen Euro stehen dafür zur Verfügung. Bis 2014, wenn Worpswede seinen 125. Geburtstag als Künstlerdorf feiert, sollen alle Arbeiten abgeschlossen sein.

An diesem Sonnabend eröffnet Kulturstaatsminister Bernd Neumann (CDU) in der Großen Kunstschau die Ausstellung "Menschenbilder", bei der ausgewählte Meisterwerke aus der Sammlung Zeitgenössischer Kunst der Bundesrepublik Deutschland gezeigt werden. Am Sonntag lädt das Museum zum Tag der offenen Tür. Der Eintritt von 10 bis 18 Uhr ist frei. Weitere Infos: www.grosse-kunstschau.de

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Unverbrauchte Heimat

Wenn die Wiesen in dieser flachen Moorlandschaft gelb gepunktet sind, die Birken frisches Grün tragen und die Rhododendren an einem heiteren Mainachmittag in weiß, lila und zartem rosa leuchten, dann lässt sich nachfühlen, was den Dichter Rainer-Maria Rilke bewegt hat, als er in seiner 1903 erschienene Monographie „Worpswede“ schrieb: „Es ist so vieles gemalt worden, vielleicht alles. Und die Landschaft liegt unverbraucht da wie am ersten Tag.“

Damals war das im Landkreis Osterholz nordöstlich von Bremen mitten im Teufelsmoor gelegene Dorf in Künstlerkreisen schon bekannt, in dem Fritz Mackensen, Otto Modersohn, Fritz Overbeck, Hans am Ende und Carl Vinnen den „Künstlerverein Worpswede“ gegründet hatten, um sich in dörflicher Abgeschiedenheit der Landschaftsmalerei zu widmen. 1898 war Rilke auf Einladung von Heinrich Vogeler zum ersten Mal in das Dorf gekommen, dessen Atmosphäre ihn sofort faszinierte. Doch als das Buch veröffentlicht wurde, das Worpswede bald europaweit berühmt machen sollte, schien die Beziehung zwischen den Gründern schon nicht mehr ungetrübt. 1899 waren Modersohn, Vogeler und Overbeck aus der Künstlervereinigung ausgetreten, was Rilke indes nicht von weiteren Besuchen abhielt. Bei den sonntäglichen Zusammenkünften traf Rilke auf die Künstler, zu denen auch seine spätere Frau, die Bildhauerin Clara Westhoff, und die Malerin Paula Becker gehörten. Paula Becker, die 1901 Otto Modersohn geheiratet hatte, schätzte Rilke zwar als Gesprächspartnerin, ihre künstlerischen Leistungen erkannte er aber zunächst nicht. In seiner Monografie widmet er der mit Abstand bedeutendsten Worpsweder Künstlerin keine Zeile. Erst 1908, ein knappes Jahr nach Paulas frühem Tod, schrieb Rilke sein Requiem „Für eine Freundin“, in der er sie auch als Künstlerin würdigte.

Dabei gründet sich Worpswedes bis heute ungebrochene Attraktivität vor allem auf die geniale, eigenwillige und jung gestorbene Paula Modersohn-Becker, die mit ihren Bildern und Selbstzeugnissen ihre Zeitgenossen oft erschreckt, die Nachwelt aber fasziniert hat. Vor allem ihr ist es zu verdanken, dass der Mythos des niedersächsischen Künstlerdorfs bis heute so lebendig geblieben ist.

Doch wer Worpswede in den letzten Jahrzehnten besucht hat, erlebte einen Ort, der von einer lange zurück liegenden großen Zeit zehrte. Barkenhoff, Haus im Schuh Käseglocke, Kaffee Worpswede - wie eine Perlenkette ziehen sich die historisch bedeutsamen Kunststätten durch ein Dorf, das sich jahrzehntelang allzu sehr auf seine große Vergangenheit verlassen hat und diese famos zu vermarkten verstand. Worpswedes Gegenwart schien sich aber weitgehend im Kunstgewerblichen seiner äußerstgeschäftstüchtigen Galerien zu erschöpfen. Busladungen von Senioren ergossen und ergießen sich in das einstige Dorf der Avantgarde, das seine überwiegend ältere Klientel nicht nur mit Kunst, sondern auch mit Kitsch und – vor allem - mit einem üppigen Angebot kalorienreicher Sahnetorten zu beglücken wusste.

Dass es so nicht weitergehen konnte, war schon seit einiger Zeit klar. Daher hat das niedersächsische Kultusministerium in Kooperation mit der Kommune einen Masterplan initiiert, der nicht nur dafür sorgen soll, dass die historischen Künstlerhäuser nach und nach in neuem Glanz erstrahlen. Ziel ist es auch, dem traditionsreichen Ort eine Zukunftsperspektive zu eröffnen. Insgesamt 9,3 Millionen Euro kostet das Projekt, das von der EU, dem Land Niedersachsen, dem Landkreis Osterholz sowie mehreren Stiftungen und privaten Sponsoren finanziert wird. Das Geld fließt einerseits in die Restaurierung und Neugestaltung der traditionsreichen Künstlerhäuser, aber es geht nicht nur um die Pflege der Vergangenheit. Etwa ein Drittel der Summe,nämlich 3,3 Millionen Euro, dienten dazu, die 1927 von dem Architekten Bernhard Hoettger entworfene Große Kunstschau um uns auszubauen, sowie den Eingangs-, Shop und Garderobenbereich zu erneuern.

Am Sonntag gibt es zur Eröffnung einen großen Festakt. Dann werden dort nicht nur die Bilder der berühmtenWorpsweder Maler wie Otto und Paula Modersohn, Heinrich Vogeler und Fritz Macksensen zu sehen sein, sondern in der Ausstellung „Menschbilder" auch Werken, die aus der Sammlung zeitgenössischer Kunst der Bundesrepublik Deutschland stammen. Darunter sind Arbeiten von Joseph Beuys, Wolfgang Tillmans und Klaus Vogelsang.

Abgeschlossen sein soll der Masterplan Ende 2013, also rechtzeitig zum 125. Jubiläum des weltberühmten Künstlerdorfs, dessen herbe Moorlandschaft dem Besucher noch immer so melancholisch und unverbraucht erscheint wie Maria Rilke, der 1903 über Worpswede schrieb: „Flach liegt es da, fast ohne Falten, und die Wege und Wasserläufe führen weit in den Horizont hinein. Dort beginnt ein Himmel von unbeschreiblicher Veränderlichkeit und Größe.“