Marinechef will suspendierten “Gorch Fock“-Kapitän wieder an Bord holen. Großer Empfang für das Schulschiff in Kiel

Kiel. Nick Burmester hat Tränen in den Augen, als er von der "Gorch Fock" auf die Tirpitzmole im Kieler Marinehafen tritt. Der Hauptgefreite eilt auf seine Familie zu, umarmt Mutter Heike und klatscht die Hand von Vater Ralf ab. "Der Empfang hier in Kiel ist gigantisch", seufzt der 21 Jahre alte Soldat, schwärmt von den zwei Löschbooten, ihren Fontänen und den mehr als 30 Seglern und Motorbooten, die das Segelschulschiff der Marine am Freitagmorgen zum Abschluss einer seiner längsten Reisen in den Heimathafen Kiel geleiteten.

Burmester atmet kräftig durch, schmunzelt, als er zu seinen Großeltern blickt. Sie halten selbst gebastelte Papierfähnchen in den Händen. Aufdruck: ",Gorch Fock' muss bleiben". Der junge Soldat hält inne. In die Freude über die Rückkehr nach 250 Tagen auf See mischen sich Erinnerungen an die Tragödie in der Takelage, an den 7. November, an dem die Offiziersanwärterin Sarah Lena S., 25, im Hafen von Salvador da Bahia (Brasilien) aus 27 Metern in den Tod stürzte.

"Wir waren alle geschockt", berichtet Burmester. Er führt an Bord das Kommando über den niedrigeren Vortopp, weiß noch genau, wie schwer den Kameraden nach dem tödlichen Unfall das Aufentern fiel. "Wir haben am Anfang auch Angst gehabt." Als die Sicherheit sich langsam wieder einstellte, kamen die Schlagzeilen über fragwürdige Rituale auf der "Gorch Fock", über eine Meuterei auf dem Kriegsschiff. Der Hauptgefreite kennt die Vorwürfe, schüttelt den Kopf. "Da war nichts." Über manche Medien habe er sich mächtig geärgert. "Wir konnten uns nicht richtig wehren, weil wir am anderen Ende der Welt unterwegs waren."

Sein Kamerad Florian Otremba legt nach. Die Berichte über eine Faschingsparty an Bord nach dem Unglück seien verfälscht, die angeblich menschenunwürdige Äquatortaufe eine traditionelle Spaßaktion, zu der niemand gezwungen worden sei. "Wer mitmachen wollte, musste unterschreiben." Empört ist Otremba bis heute darüber, das sein Kommandant Norbert Schatz Ende Januar vom damaligen Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg geschasst wurde. "Das ganze Ding war wohl eine politische Intrige." Auf die Frage nach der Zukunft der "Gorch Fock" zuckt der Hauptgefreite aus Riesa die Achseln. "Selbst die Offiziere wissen nicht, wie es weitergeht."

Burmester setzt große Hoffnungen auf die Marineführung und wird von VizeAdmiral Axel Schimpf nicht enttäuscht. Der Inspekteur der Marine, der nur dem Bundesverteidigungsminister untersteht, redet querab von der "Gorch Fock" auf dem Hubschrauberlandeplatz des Tenders "Main" Klartext. "Ich habe keinen Grund, an diesem Schiff zu zweifeln." Die Vorfälle würden untersucht. Falle das Ergebnis im Juni positiv aus, könne Schatz das Kommando an Bord wieder übernehmen.

Der Vize-Admiral erinnert an die seglerischen Leistungen der 181 Segelsoldaten, an die Umrundung von Kap Hoorn, bedankt sich für den großartigen Empfang der 2000 Familienangehörigen auf der Mole - und spart den Tod von Sarah Lena S. nicht aus. Er habe der Mutter einen langen Brief geschrieben, darin auch um Verständnis für die Willkommensfeier in Kiel geworben. Zu den Vorwürfen von Offiziersanwärtern, die über einen Bericht des Wehrbeauftragten die "Gorch Fock"-Affäre ins Rollen brachten, äußert der Vize-Admiral sich nicht. Nur so viel: "Zwischen Schwarz und Weiß gibt es eine Menge Graustufen." Und wo so viele junge Frauen und Männer zusammen seien, ließen sich Missverständnisse und Probleme kaum vermeiden.

Heike Burmester fühlt mit der Mutter von Sarah Lena S. "Wer sein Kind verliert, sucht immer einen Schuldigen", sagt sie leise und drückt ihren Sohn Nick herzlich. "Ich bin froh, dass er heil wieder zurück ist." Neben der Familie sind auch Freunde und Bekannte von Nick aus Ratingen bei Düsseldorf nach Kiel gefahren. "Wir sind mit 21 Personen da, haben einen Bus gechartert", berichtet Vater Ralf.

Für Nick selbst dürfte es der letzte große Törn auf der "Gorch Fock" gewesen sein. Sein Dienst beim Bund endet im Juni. Der Hauptgefreite will Elektrotechnik studieren, ist sich aber sicher, dass ihn die vielen schönen, aber auch die schlechten Tage auf dem Dreimaster geprägt haben. "Ich werde das bis zu meinem Lebensende nicht vergessen."