Hannover. Die Tätigkeit des Verfassungsschutzes Niedersachsen war im vergangenen Jahr vom Krieg gegen die Ukraine überschattet. Das sagte Innenministerin Daniela Behrens. Extremisten agierten zunehmend im Internet.

Das von Krisen geprägte Jahr 2022 hat auch den Verfassungsschutz in Niedersachsen vor neue Herausforderungen gestellt. Es habe verstärkte Aktivitäten auf dem Feld der Spionage sowie Cyberangriffe und Desinformationskampagnen gegeben, sagte Innenministerin Daniela Behrens am Donnerstag in Hannover. Als Hintergrund nannte die SPD-Politikerin den „völkerrechtswidrigen Angriffskrieg Putins auf die Ukraine“.

Darüber hinaus erlange eine Mischszene von Rechtsextremisten, Anhängern der Reichsbürgerszene bis hin zu Corona-Leugnern, Querdenkern und Verschwörungstheoretikern in den sozialen Medien zunehmend an Reichweite, sagte Behrens. Die Szene nutze inzwischen den Ukraine-Krieg, die hohe Inflation und die gestiegenen Energiepreise als Vehikel, um ihre fundamentale Ablehnung des demokratischen Systems der Bundesrepublik Deutschland zu verbreiten.

Dirk Pejril, Präsident des Verfassungsschutzes Niedersachsen, warnte: „Potenzielle Gewalttäter radikalisieren sich zunehmend unter dem Einfluss des Internets.“ Die Mischszene agitiere aggressiv gegen Repräsentanten und Institutionen des Staates. „Sie verkaufen sich als "Widerstandsbewegung" oder gerieren sich verharmlosend als "Friedensbewegung" ganz im Sinne Russlands.“

Im Bereich der Spionageabwehr beschäftigte sich der Verfassungsschutz mehrfach mit russischen Akteuren. Insgesamt habe die Cyberabwehr in 13 Fällen konkrete Anhaltspunkte auf staatlich gesteuerte Aktivitäten gegen niedersächsische informationstechnische Systeme festgestellt, sagte der Behördenchef. Adressaten waren Unternehmen, Behörden, Universitäten sowie Privatpersonen. Öffentlich wurde der Ausfall des Satellitennetzwerks KA-SAT, das die Betreiber zur Kommunikation mit ihren Windkraftanlagen nutzen.

Die vermutlich von russischen Geheimdiensten gesteuerte Hackergruppe „Ghostwriter“ habe zudem versucht, das öffentliche Meinungsbild zu beeinflussen, hieß es. Auch elf niedersächsische Landtagsabgeordnete wurden demnach Opfer von Phishing-Angriffen.

„Diese Entwicklungen nehmen wir nicht hin“, sagte die Innenministerin. „Den russischen Fake-News und Lügenerzählungen müssen wir noch aktiver entgegentreten und Falschinformationen nicht unwidersprochen im digitalen Raum stehen lassen.“ Sie werde sich bei der nächsten Innenministerkonferenz dafür einsetzen, einen 2022 beschlossenen Aktionsplan gegen Desinformation auch umzusetzen.

Der Rechtsextremismus sei weiterhin die größte Gefahr, sagte Behrens. Über soziale Medien sickere Hass und Hetze, Rassismus und Antisemitismus in die Gesellschaft ein. 1610 Personen werden landesweit als Rechtsextremisten eingestuft, das sind 120 weniger als im Vorjahr.

Die Zahl der „Reichsbürger und Selbstverwalter“ bleibt konstant bei rund 900 Personen. Wegen ihrer Affinität zu Waffen stellten sie eine große Gefahr dar, hieß es. Im Zusammenhang mit Ermittlungen gegen eine mutmaßliche terroristische Vereinigung aus dem „Reichsbürger“-Milieu sind unter den 26 Verhafteten vier Personen aus Niedersachsen. Von den inzwischen 63 Beschuldigten stammen sechs aus Niedersachsen.

Der Bericht 2022 zählt landesweit etwas mehr als 1200 Linksextremisten. Ihre Themenschwerpunkte seien aktuell der Klimaschutz, der angespannte Wohnungsmarkt sowie der Antimilitarismus. Es sei wichtig, dass Klimaaktivistinnen und -aktivisten Distanz einnehmen zu extremistischen und kriminellen Kräften, betonte die Innenministerin.

Verfassungsschutzpräsident Pejril sagte, dass bei der Gruppierung Letzte Generation, die für viel Aufsehen und Ärger sorge, derzeit extremistische Bestrebungen „nicht erkennbar“ seien. Die Aktionen der „sogenannten Klimakleber“ würden aber fortlaufend bewertet.

Eine „latente Anschlagsgefahr“ gibt es dem Verfassungsschutzbericht 2022 zufolge weiterhin durch islamistische Extremisten und Terroristen. Ein erhebliches Gefahrenpotenzial stellen dabei nach Analyse der Verfassungsschützer radikalisierte Einzelpersonen da, die häufig psychisch auffällig seien.

800 Personen werden in Niedersachsen dem Salafismus zugerechnet, der landesweit dominierenden islamistischen Strömung. Bundesweiten Einfluss hat die Deutschsprachige Muslimische Gemeinschaft (DMG) in Braunschweig, die allein auf YouTube derzeit etwa 70 000 Abonnenten zählt. Sie versuche insbesondere, junge Muslime zu radikalisieren.