Hildesheim (dpa/lni). Streit, Schläge, Verletzungen - zwischen einer Frau und ihrem Bruder herrschte Hass seit der Kindheit. Nach einem Streit soll sie ein Messer genommen und ihm in den Rücken gestochen haben. Jetzt steht sie in Hildesheim vor Gericht, dabei ist der Angriff viele Jahre her.

Es geschah vor fast 15 Jahren: Eine 35 Jahre alte Frau hat vor Gericht zugegeben, mit einem Messer in den Rücken ihres Bruders gestochen zu haben. «Ich wollte ihm wehtun, wie er mir wehgetan hat», sagte sie am Mittwoch zum Auftakt eines Prozesses wegen versuchten Mordes am Landgericht Hildesheim (Az.: 12 Ks 17 Js 16962/20). Laut einer von ihrer Anwältin verlesenen Erklärung wollte sie den damals 19-Jährigen im Dezember 2007 aber keinesfalls töten.

Der Anklage zufolge soll die damals 21-jährige Deutsche im Dezember 2007 in Schellerten im Landkreis Hildesheim versucht haben, ihren Bruder heimtückisch zu töten. Der Staatsanwalt warf der Frau vor, den Bruder mit dem Küchenmesser verletzt zu haben, als dieser vor einem Spiegel stand und nicht mit einem Angriff rechnete. Das Messer mit einer Klingenlänge von 10,5 Zentimetern soll nahe dem rechten Schulterblatt vier Zentimeter tief in seinen Rücken eingedrungen sein. Lebensgefährlich verletzt wurde er nicht. Der Angriff sei aber potenziell lebensbedrohlich gewesen, erklärte der Anklagevertreter.

In der von der Anwältin verlesenen Erklärung hieß es, die Frau habe damals im gemeinsamen Kinderzimmer geschlafen und sei aufgewacht, weil ihr Bruder ihr ins Gesicht geschlagen habe. Ihr Bruder habe seine Wut nach einem Streit mit dem Vater an ihr auslassen wollen. Die Eltern hätten sich nicht einmischen wollen, daraufhin habe sie spontan ein Messer genommen und zugestochen.

Schon in der Kindheit habe es Verletzungen und Streit gegeben, sagte sie auf Nachfrage des Vorsitzenden Richters Rainer de Lippe. Nach dem Angriff sei sie zu einer Freundin geflohen, wo sie einige Tage geblieben sei. Ihr sei nicht klar gewesen, wie schwer verletzt ihr Bruder war. Sie habe sich bei ihm entschuldigt. 2020 wurde der Vorfall bekannt, weil die Frau die Polizei alarmierte hatte, nachdem ihr Bruder die Eltern «durch die Wohnung geschubst» haben soll. Dabei erzählte sie nach eigenen Angaben auch von dem Messerangriff.

Nach einer Unterbrechung entschied das Gericht, dass das Opfer wegen psychischer Probleme aus einem Nebenraum per Video aussagen sollte. Der Zeuge leide unter einer Depression, Angstzuständen und Zwangshandlungen, auch sei es zu einem Suizidversuch gekommen, sagte der Richter. Vor Verhandlungsbeginn habe er sich erbrochen angesichts der Aussicht, im Beisein der Angeklagten aussagen zu müssen.

Nach den Worten des 34-Jährigen ging es bei dem Streit im Dezember 2007 um frühere Verletzungen, die er wegen seiner Schwester erlitten hatte. Unter Tränen sagte er, seit der Kindheit habe «Hass» zwischen beiden geherrscht, er habe «jeden Tag Angst und Schrecken» erlebt. Er stritt ab, seine Schwester an dem Tag geschlagen zu haben. Als er vor dem Spiegel stand, habe er einen dumpfen Schlag am Rücken verspürt, dann sei seine Schwester weggelaufen. Sein Vater habe ihm gesagt, dass ein Messer in seinem Rücken stecke: «Ich war geschockt.»

In der Notaufnahme habe sein Vater dann erzählt, sein Sohn sei überfallen worden - im Anschluss an die Behandlung werde man zur Polizei fahren. Das sei aber nicht geschehen. Sein Vater habe ihn auch unter Druck gesetzt, damit er seine Schwester nicht anzeigt.