Oldenburg. Einige auf der Klinikstation hatten wohl eine Art Ahnung von dem mörderischen Treiben ihres Kollegen. Es wurde gemunkelt, es gab auch Hinweise. Doch reicht das, um Ex-Vorgesetzten juristisch eine Mitschuld durch Unterlassen nachzuweisen?

Vier angeklagte Ex-Vorgesetzte des Patientenmörders Niels Högel aus dem Klinikum Oldenburg dürfen auf einen Freispruch hoffen. Bisher habe die Beweisaufnahme ein vorsätzliches Handeln der Angeklagten «nicht mit einer für eine Verurteilung ausreichenden Gewissheit belegt», teilte das Landgericht Oldenburg am Montag in einer vorläufigen Einschätzung mit.

Die vier sind mit weiteren drei Angeklagten aus dem Klinikum Delmenhorst wegen Beihilfe zum Totschlag beziehungsweise versuchten Totschlags durch Unterlassen angeklagt. Beim Komplex Delmenhorst blieb das Gericht zurückhaltend, denn die Beweisaufnahme sei noch nicht so fortgeschritten.

Hintergrund des seit 17. Februar laufenden Verfahrens sind die Verbrechen des Ex-Pflegers Högel in den Krankenhäusern Oldenburg und Delmenhorst. Dort tötete er wehrlose Patienten, indem er ihnen Medikamente spritzte. Im Juni 2019 wurde Högel dafür wegen 85 Morden zu lebenslanger Haft verurteilt.

Die Verbrechensserie begann 2000 im Klinikum Oldenburg und endete 2005 im Klinikum Delmenhorst. Mit dem Verfahren gegen die Ex-Vorgesetzten - drei Ärzte, drei leitende Pflegerinnen und Pfleger und ein Ex-Geschäftsführer der Kliniken Oldenburg und Delmenhorst - will das Gericht klären, ob diese eine Mitverantwortung tragen.

Aus Sicht der Staatsanwaltschaft hätten sie Mordtaten Högels mit an «Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit» verhindern können. Allen Angeklagten sei von bestimmten Zeitpunkten an klar gewesen, dass von Högel eine Gefahr für die Patienten ausgehe, hatte Staatsanwältin Gesa Weiß zum Prozessauftakt am 17. Februar gesagt. Dieser Ansicht widersprachen die 18 Anwälte der Angeklagten.

Dass es aber mehr als nur Ahnungen gab, wurde auch bei Zeugenaussagen im Prozess klar. Auch der Chefermittler der ehemaligen Sonderkommission «Kardio», Arne Schmidt, sagte im April vor Gericht, es sei «sehr wohl aufgefallen», dass es Unregelmäßigkeiten im Zusammenhang mit dem damaligen Pfleger Högel gegeben habe.

Doch die Schwurgerichtskammer unter Vorsitz von Richter Sebastian Bührmann machte am Montag in ihrer Zwischenbilanz klar, dass auch ein deutliches Unbehagen gegenüber Högels Verhalten für die Feststellung vorsätzlichen Verhaltens nicht ausreichend sei. Dies sei aber Voraussetzung für eine Verurteilung. Auch mit Blick auf die drei Ex-Vorgesetzten Högels aus dem Klinikum Delmenhorst sei insbesondere zu prüfen, ob die Beweisaufnahme einen Vorsatz ergebe.

In dem noch bis Ende November terminierten Prozess geht es konkret um acht Fälle, für die Högel bereits verurteilt wurde: drei Morde im Oldenburger Klinikum sowie drei Morde und zwei Mordversuche in Delmenhorst. Diese Taten müssen unabhängig von der Rechtskraft des Urteils gegen Högel vor Gericht wieder gesondert festgestellt werden. Es gilt die Unschuldsvermutung für die Angeklagten.

Für das Klinikum Oldenburg kam das Gericht zur vorläufigen Einschätzung, dass zwei der Mordfälle als bestätigt angesehen werden können, da Högel den Patienten Kalium verabreichte. Beim dritten Oldenburger Fall besteht hingegen noch Prüfungsbedarf. Ob und welche Auswirkungen es hätte, wenn in diesem aktuellen Verfahren ein Mord, für den Högel rechtskräftig verurteilt wurde, sich als nicht bewiesen herausstellen würde, ist offen.